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Neutralität – bitte zumindest diskutieren

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Eine Diskussion über die österreichische Neutralität sei nicht sinnvoll, meinte Außenministerin Beate Meinl-Reisinger kürzlich. Dabei ist sie gemeinhin nicht als glühende Bekennerin in Bezug auf den heiligsten aller österreichischen Schreine bekannt. Dennoch resigniert sie bereits vorbeugend und das ist überaus schade.

Schweden und Finnland waren ebenso jahrzehntelang neutral und sind seit einem beziehungsweise zwei Jahren Mitglied der NATO. Sie haben rasch erkannt, dass sich die Sicherheitslage in Europa mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine fundamental verändert hat. Auch in diesen beiden Ländern war die Zustimmung zur Neutralität in der Bevölkerung weit verbreitet. Doch zwei Unterschiede zu Österreich lassen sich ausmachen: Erstens ist Russland geografisch näher – im Fall von Finnland existiert sogar eine gemeinsame Grenze. Und zweitens gibt es offenbar Politiker, die nicht nur auf der Basis von Meinungsumfragen entscheiden, was richtig und wichtig für das Land ist.

Die schwedischen und finnischen Politiker konnten ihrer Bevölkerung in kurzer Zeit vermitteln, warum sich die Zeiten gravierend verändert haben, und ihre Wähler verstanden die Argumente. Warum sollte das in Österreich nicht möglich sein? Laut einer aktuellen OGM-Umfrage finden immerhin 32 Prozent der Bevölkerung, dass sich die heimische Neutralität verändern müsse und 9 Prozent wollen sie abschaffen. Das ist zumindest eine Basis für weitere Diskussionen.

Die österreichische Neutralität fußt mittlerweile auf zwei strategischen Überlegungen: Erstens befinden sich zwischen uns und Russland NATO-Länder – sollen die doch im Fall des Falles gleich für uns mitkämpfen. Und zweitens sind wir eh so lieb und jeder mag uns, sogar Wladimir Putin, denn der ging doch immer gerne am Arlberg mit dem Karl Schranz Schifahren.

Dabei werden zumindest zwei Tatsachen ausgeblendet – und dabei nicht eingerechnet, dass Putin den Arlberg wahrscheinlich gerne in Groß-Russland hätte. Zum einen befindet sich Russland bereits in einem hybriden Kriegszustand mit Europa. Die russischen Troll- und Fake-News-Fabriken und die Hackerangriffe – wie beispielsweise im Dezember 2024 auf den Flughafen Wien – sind wir ja schon gewohnt. Aber Attacken auf Internet-Kabel im Meer, auf GPS-Systeme, die für Chaos im Flug- und Schiffverkehr sorgen sollen, und Brandsätze in europäischen Frachtflugzeugen sind doch eine neue Dimension. Im Fall von Österreich kommt noch die mutmaßliche Planung eines Auftragsmordes an einem bulgarischen Aufdeckerjournalisten dazu, der 2023 seine Wohnung in Wien aufgeben musste. Aber auch der Chef des deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall entging ebenso nur knapp einem vermutet russischen Anschlag wie der estnische Innenminister.

Und zweitens bietet die Neutralität keinerlei Schutz. Die Geschichte ist voll von neutralen Staaten, die überrannt wurden. Der letzte neutrale Staat, der angegriffen wurde, ist übrigens die Ukraine. Die Geheimdienste etlicher EU-Staaten warnen bereits vor einem physischen russischen Angriff auf einen EU-Staat bis spätestens 2030. Im russischen Staatsfernsehen werden mittlerweile Sätze gesendet wie „Wir können jetzt tatsächlich Brüssel, London und Paris angreifen“, denn die USA würden unter Donald Trump stillhalten. Wer glaubt, Russland sähe dabei Österreich nicht als Teil des Westens, also als Feind, glaubt vermutlich auch noch an das Christkind.

Der österreichische Status ist als „Neutralität nach Schweizer Vorbild“ definiert. Die Schweiz „wird sich entscheiden müssen, ob sie sich militärisch mit ihren Nachbarstaaten verbündet oder in einer gefährlichen Welt schon bald allein dasteht“ schrieb das Schweizer Leitmedium Neue Zürcher Zeitung vor kurzem. Es wäre gut, wenn sich Österreich auch hier die Schweiz zum Vorbild nimmt und ebenso eine Entscheidung sucht. Die bloße Verweigerung einer Diskussion über die Neutralität ist jedenfalls noch keine hinreichende Entscheidung. +++