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Das Sonett des Grauens

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Sie können das natürlich nicht so richtig wissen, aber ich befinde mich ja seit, naja, sagen wir: ungefähr zwei Jahren in einer einigermaßen ordentlichen Phase der Umorientierung, der Desorientierung, jedenfalls: Was ich bisher gemacht habe, will ich nicht mehr in der bisherigen Form tun. Die Medienbranche am Wiener Parkett ist durchsetzt mit Egomanen, Selbstdarstellern oder auch nur mit in ihrem Job Überforderten, ich möchte mich nicht mehr hauptberuflich damit auseinandersetzen müssen, schon gar nicht zu beschämend niedrigen Honoraren. Nicht, dass Sie mich jetzt falsch verstehen: Ich habe auch freundliche, höchst anständige, sehr kompetente und professionelle Chefredakteure oder Innen kennengelernt, manchmal waren die Honorare annähernd fair, es gibt zudem sehr wohl auch wunderbare, durchaus reflektierte Kolleginnen und -Kollegen. Mit ihnen würde ich jederzeit gerne arbeiten, doch man befindet sich da in Graz und Mondsee, wo ich inzwischen abwechselnd lebe, halt ein wenig auf einem Abstellgleis. Und zurück nach Wien? Nie. Und nimmer! Unter keinen Umständen!! Ich will mir ja meinen Ruf als professionellster Wien-Hasser der Gegenwart nicht versauen.

Eine Folge von all dem ist, dass ich kaum mehr schreibe. Natürlich, ich mache immer noch Corporate Writing, unterrichte auch hier und da, mache Schreibcoaching und Ghostwriting (www.writingfactory.at). Aber für Medien habe ich zum Beispiel in diesem Jahr noch keine einzige Keyboardtaste gedrückt. Natürlich geht es mir ab, das Schreiben, und Absenz tut den Schreibfähigkeiten auch nicht gut. Ist man nicht das absolute Supertalent am Weg zum Literaturnobelpreis, muss man Schreiben trainieren, möglichst viel und möglichst oft. Sonst flutscht es bald einmal nicht mehr. Und in meinem Fall ist so etwas wie der Literaturnobelpreis natürlich aber auch schon sowas von weit weg, das glauben Sie gar nicht. Andere Galaxie quasi.

Also dachte ich mir, nimmst du halt einfach einmal an einem Schreibworkshop teil, so zum Spaß, das wäre mal was Neues. In Graz ist es nicht so, dass da Literaturgrößen reihenweise Station machen und ihr Wissen weitergeben, daher dann eben: Urania. Das ist qualitativ deutlich besser als Volkshochschule, außerdem: eh wurscht. Gestern und heute war es soweit, ich war, alles in allem, angenehm überrascht. Nette Menschen – Menschen mit ihren Schicksalen, ihren Rucksackerln des Lebens am Buckel, ihren Ängsten, Sorgen und Eigenheiten, die sind sowieso immer super interessant, wenn es ums Thema Schreiben geht – saßen da, ihr Geschriebenes war den Umständen entsprechend nicht schlecht, die Workshopleiterin war kompetent, kurz: Es war angenehm.

Mein Fazit: Dass ich aus dem Training bin, hat man gemerkt, ich sogar sehr. Was geblieben ist, durchaus überraschend, ist jedoch, Gott sei Dank, zumindest einer meiner wenigen und minder bedeutenden Vorzüge: Ich kann mich hinsetzen, jemand sagt los, und als geborener Schwafler kann ich dann in der Sekunde über alles und jedes, zu jedem Thema, zu schreiben beginnen, irgendwas halt. Heureka, das funktioniert also noch immer. Schreibblockade, das ist für mich ein fremdes Land. Die Qualität des Geschriebenen ist dann zwar ein anderes Thema, jedoch, siehe oben: eh wurscht.

Nur in einem Fall musste ich wirklich passen. Die Aufgabe lautete: Sie kommen nach Hause und merken irgendwann, dass Sie im falschen Haus sind. Was tun Sie, wie ist das, und so weiter. Schreiben Sie einen Text dazu, eine halbe Seite, 20 Minuten ist Zeit, los. Ich: Null. Nichts. Nada. Kein Gedanke, keine Idee, keine Lust. Ich konnte mir das einfach nicht vorstellen, dabei kann ich mir sonst ziemlich viel vorstellen. Nur das halt nicht. Ich war sehr überrascht, denn alle anderen tippten bereits fleißig oder ließen die Kulis übers Notizpapier tanzen, während ich noch die Luft observierte. Aber – und jetzt verzeihen Sie mir bitte den Ausdruck aus der Fäkalsprache – ich habe in meinem Berufsleben gelernt: Scheiß dich nix, wenn’s ums Schreiben geht. Vor allem: Sei angstfrei. Also meine Lösung: Ich schreibe einfach ein Sonett. Steckt ja in vielen von uns ein Baby-Shakespeare – warum nicht auch in mir, warum sollte nicht auch ich den Teufelsreimer voll drauf haben.

Jetzt müssen Sie natürlich schon wissen: Ein Sonett zu einem Thema schreiben, zu dem dir nichts einfällt, das einem starren Reimschema folgt, bei dem die Silbenzahl pro Zeile ebenso festgelegt ist wie die Länge, und das in 20 Minuten (inzwischen war’s nur mehr eine Viertelstunde) – das, nun ja: hat was. Eine echte Herausforderung. Dementsprechend wurde es auch ein bissl ein Sonett des sprachlichen Grauens, eine Banalität ersten Ranges, Poesie geht anders. Aber immerhin – technisch betrachtet ist es ein Sonett. Und die Vorgaben, vor allem die Zeit, habe ich eingehalten. Lesen Sie selbst:

Ich kehrte heim und sah frische Farbe

An der Wand, ein ganz neues Kleid am Haus.

Und voller Freude nahm ich die Gabe

In Glück entgegen, ein Geschenk für Klaus.

Im Stiegenhaus roch es noch fremd nach neu,

Die Luft strich ungewohnt um mich herum,

So, als schritt ich durch einen Haufen Heu.

Und ich drehte mich nach dem Geruch um

Und sah da, ganz nah, mir fremde Namen,

Türen ohne gewohntes Farbenspiel,

Sodass mir ernste Bedenken kamen

Und es mir dann endlich doch noch auffiel:

Das Haus war alles andere als meins,

Meines Nachbarn Haus war es, es war seins!

So ein Schwachsinn, denken Sie sich jetzt natürlich. Aber ich lade Sie ein: Probieren Sie’s selbst. Das Thema dürfen Sie sich frei aussuchen, doch es muss ein Sonett nach Shakespeare´scher Definition sein, also zehn Silben pro Zeile und Reimschema ababcdcdefefgg. Und nach 20 Minuten ist Schluss mit lustig. Legen Sie los!

Sie dürfen mir Ihr Sonett, wenn Sie möchten, gerne mailen. Ich werd’s hier posten. Morgen einen schönen Sonntag, wünsche ich Ihnen! +++