Ein „wohltuender Stilbruch“ sei die neue Bundesregierung, merkt Eva Linsinger im Leitartikel des jüngsten „profil“ an. Der „Standard“, normalerweise kein Fanzine einer ÖVP-geführten Bundesregierung, titelt gar: „Diese Regierung macht eine erstaunlich gute Figur“. Begründet wird dies vor allem mit Christian Stocker. Dieser sei „kein von Ehrgeiz getriebener Typ, der mit penibler und strategischer Planung nach oben gekommen ist, sondern er wurde aus Zufall, was er ist: nämlich Bundeskanzler“, so Michael Völker im „Standard“.
Soweit sind wir also, dass wir laut zu jubeln beginnen, wenn der österreichische Bundeskanzler seinen Job eigentlich nicht wollte, sondern per Zufall dazu gekommen ist. In der Tat sieht Stocker eher nicht so aus, als sei er bei drei am nächsten Baum oben, aber als wesentliches Element einer Job Description für den wichtigsten Posten der Republik habe ich das bisher noch nicht gesehen.
„Ich lese jetzt überall, dass der Kanzler wunderbar fad sei“, fiel auch Christian Nusser vom „Heute“-Verlag in seinem Blog auf. Alles wunderbar also, weil der Kanzler trocken bis langweilig wirkt und jede der drei Parteien bisher freundliche Nasenlöcher in Richtung der anderen beiden macht? Irgendwie ist es nach fünf Monaten des unkonstruktiven Zanks ja verständlich, dass man fade Freundlichkeit begrüßt.
Ich hätte da aber dennoch vier kleine Einwände: Erstens sind erst rund drei Wochen der kommenden viereinhalb Jahre vergangen. Zweitens bemerke ich erste Anzeichen einer „Message Control“, auch wenn man sie nun nicht mehr so nennt. Heute sagt man, jede der drei Regierungsparteien habe abwechselnd eine Woche, um ungestört von den anderen die eigenen Themen unterzubringen.
Drittens beginnt auch schon die erste heiße Luft zu entweichen. So behaupteten der Kanzler und der Innenminister mehrmals, der Familiennachzug werde „sofort“ gestoppt. „Sofort ist jetzt“, hieß es vom Bundeskanzler auf Nachfrage zwei Tage später. Ein paar Tage darauf sagte der Innenminister in der ZiB2, „ab jetzt“ sei der Familiennachzug gestoppt. Um dann im selben Interview zu präzisieren, in „spätestens einem halben Jahr“ werde das Gesetz vorliegen, auf dessen Basis er dann eine Verordnung erlassen kann. Die Relativitätstheorie gilt eben auch in der Politik.
Viertens habe diese Bundesregierung „ein konkretes und nachvollziehbares Programm, und sie macht sich beherzt daran, es umzusetzen“, so der Standard. Ich weiß nicht, welches Regierungsprogramm Michael Völker gelesen hat. Jenes, das ich am Bildschirm habe, ist voll von Formulierungen wie „Evaluierung von“ oder „Möglichkeit prüfen“. Möglichkeiten prüfen oder Evaluierungen zu starten lässt sich sicher „beherzt“ umsetzen. Ob man am Ende im Konsens dabei die erforderlichen Einsparungen findet und ob die inflationär einzusetzenden „Taskforces“ und „Expertenkommissionen“ jene notwendigen Problemlösungen finden, an denen die bisherigen Regierungen gescheitert ist, bezweifle ich. Aber Hauptsache, wir dürfen uns endlich wieder langweilen, wenn wir die „Zeit im Bild“ einschalten. +++