Start Editor's Blog Der Sinn von 138 Tagen Stillstand

Der Sinn von 138 Tagen Stillstand

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Nichts im Leben geschieht umsonst, irgendein Sinn ergibt sich aus allem immer, zumindest irgendwie. Diese mittlerweile 138 Tage zum Beispiel, die seit der Nationalratswahl vergangen sind, ohne dass Österreich es zu einer neuen Regierung gebracht hätte – sie haben ihr Gutes in Form einiger Erkenntnisse, die sie gebracht haben und über die wir jetzt eben verfügen.

Da ist einmal Andreas Babler, der sich irgendwie als Überraschungsgast, als Excel-Krisengewinnler, im Jahr 2023 selbst aus dem Hut zauberte und der seither als eine Art Wundertüte durch die heimische Politik irrlichtert. Niemandem war bisher so richtig klar, was von dem Mann wirklich zu halten ist. Jetzt wissen wir: Der Horizont Bablers endet womöglich an den Ortsgrenzen des netten Provinzstädtchens Traiskirchen. Landesweite und gar internationale politische Bühne, das kann er einfach nicht. Als Bürgermeister hui, als Parteichef eher ein Hoppala, und als Kanzlerkandidat und Koalitionsverhandler hauptsächlich pfui, also ungeeignet. Das ist nicht Bablers Fehler – es ist einfach so, dass es wiegt, was es hat. Politik, nationale wie internationale, ist in unserer disruptiven Zeit so komplex geworden, dass das Handwerkszeug halt einfach nicht reicht, das man im vergangenen Jahrtausend aus einer Maschinenschlosser-Lehre und diversen Gewerkschafts-Seminaren in die Jetztzeit mitnehmen konnte. Zumindest Matura und idealerweise Universitätsbesuch wären nicht schlecht. Oder man verfügt, siehe Werner Faymann, über ein Minimalmaß an politischem und rhetorischem Talent plus Verhandlungsgeschick. Aus der Gebietsliga in die Bundesliga ist jedenfalls auch für einen netten und tollen und womöglich sogar authentischen Menschen einfach ein zu großer Schritt.

Und dann stellt sich jetzt heraus, welch großes Glück Österreich hat. Wenn die vergangenen Wochen, Monate und Jahre etwas gezeigt haben, dann dieses: Wir verfügen über einen erstklassigen, unaufgeregten, vernünftigen und höchst fähigen Top-Mann an der Spitze des Staates. Alexander Van der Bellen macht schlicht einen herausragenden Job. Er ist nicht nur der meistgeforderte Bundespräsident in der Geschichte Österreichs, sondern vermutlich auch der mit Abstand beste. So viele Herausforderungen – Regierungskrisen, Wirtschaftskrisen, eine Pandemie, eine Expertenregierung und jetzt das Handling zweier außer Rand und Band geratener Chaos-Parteien – musste keiner seiner Vorgänger managen. Van der Bellen bewältigt das alles in beeindruckender Weise und Ruhe. Er ist ein echter Glücksfall in der Hofburg und damit für das Land.

Österreich hat ein weiteres Mal Glück. Dass sich die katholischen Blasmusik-Leitkulturschaffenden und die Sympathisanten des Rechtsradikalen in untrauter Zweisamkeit selbst um die Chance gebracht haben, in Kombination Regierungsverantwortung zu tragen und das Land ins Unglück zu führen, zumindest ins internationale Abseits, ist ein Segen. Österreich bleibt also doch auf dem Boden einer westlich orientierten Demokratie und der Verfassungskonformität. Frauen müssen nicht an den Herd zurück, rechtswidrige rechte Inhalte schaffen es nicht Regierungsprogramm. Es dürfte wohl so gewesen sein, dass Kickl sich bei den Verhandlungen dermaßen selbst im Weg gestanden ist, dass es gar keine Rolle mehr spielte, ob die ÖVP jenseits jeder Vernunft agiert hat oder nicht. Im vergangenen Monat verhandelte Not mit Elend und beide stellten sich selbst bloß. Das mag dem Wahlvolk als Hinweis für die Zukunft dienen, die letzten Tage dieser Verhandlungen waren wahrlich demaskierend: Wir wissen jetzt, mit welch verantwortungslosen Wendehälsen auf der einen und mit welch trotzigen Rabauken auf der anderen Seite wir es zu tun bekommen hätten.

Jetzt wissen wir außerdem definitiv – und auch den Verblendetsten sollte das langsam klar sein: Kickl kann’s nicht. Herbert Kickl hat sich selbst entzaubert, der talentierte Sprücheklopfer und erfolgreiche Wahlkämpfer, der Rattenfänger wenig Gebildeter, ist ein Solitär. Für höhere Aufgaben im Team, schon gar nicht für verantwortungsvolle, eignet er sich nicht. Er kann provozieren, aber nicht regieren. Hinhauen statt hinschauen eignet sich als Roter Faden für das Agieren als Rotz- und Trotz-Opposition, aber nicht für das Verhandeln und Umsetzen einer Regierung. Selbst dann nicht, wenn der Partner ein am Boden liegender, zur Jämmerlichkeit degenerierter Haufen von Machtpolitikern alten Stils ist. Andreas Mölzer, der Elder Statesman der FPÖ (kein besonders erstrebenswertes Prädikat übrigens), hat es kurz vor dem Platzen der Koalitionsgespräche treffend beschrieben: Das Fenster für eine Kanzlerschaft Kickls beginne sich zu schließen, sagte er. Jetzt ist es zu – und alle Türen wohl auch.

Selbst wenn es Neuwahlen geben sollte, was unwahrscheinlich ist, und wenn die FPÖ bei solchen signifikant dazu gewinnen sollte, was nach Kickls desaströsem Agieren gar nicht mehr so selbstverständlich wie noch vor vier Wochen ist: Nie und nimmer schafft Kickl eine absolute Mehrheit. Und alles darunter reicht nicht mehr zur Kanzlerschaft, weil niemand mehr mit ihm wollen wird.

Obwohl natürlich, das muss man leider sagen: Dieser desorientierten ÖVP ist nicht zu trauen. Sogar eine neuerliche Kehrtwendung einer dann wohl frischen schwarzen Führungsriege kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Denn es ginge ja für die nach einer Neuwahl vermutlich auf unter 15 Prozent dezimierten Schwarzen darum, sich mit zwei oder drei Ministerposten wenigstens ein Zipfelchen der Macht zu erhalten. Dafür tut die ÖVP wahrscheinlich alles. +++