Wenn man dem glauben schenken darf, was sich eingeweihte den Kulissen so erzählen, dann steckt hinter der de-facto-Selbstdemontage der ÖVP Harald Mahrer, Chef der Wirtschaftskammer. Und hinter dem stand und steht der Wirtschaftsbund. Bezeichnend: Unmittelbar nachdem Nehammer den Rückzug der ÖVP aus den Regierungsverhandlungen und seinen Rückzug als Parteichef und Bundeskanzler bekanntgegeben hatte und der ORF vor dem Kanzleramt rätselte, was da vorgefallen sein mag, verließen im Hintergrund zwei Männer im Eilschritt das Kanzleramt. Sie stiegen in eine dunkle Limousine und fuhren ab, nachdem sie hinter der TV-Berichterstatterin vorbei gehuscht waren. Es handelte sich um die beiden WKO-Granden Mahrer und Wolfgang Hattmannsdorfer. Es könnte wohl so gewesen sein, dass der Wirtschaftsbund mit diskreter Unterstützung der Industriellenvereinigung ÖVP-Chef Nehammer, aus der internen Konkurrenzorganisation ÖAAB stammend, von vornherein in seinen Verhandlungsbemühungen desavouiert und dann das Platzen der Gespräche orchestriert hat, um den Weg frei für eine Regierung mit der FPÖ zu machen.
Immer schon hatte – vor allem die Industriellen zeigen sich da seit Jahrzehnten anfällig – die Wirtschaft eine Schwäche für Blau. Denn eine Koalition mit Schwarz verspricht, so seit jeher das Kalkül, eine größtmögliche Chance, eigene Interessen durchzusetzen – die in vielen Fällen nur vordergründig jenen des Staates und seiner Bevölkerung entsprechen. Was der Wirtschaft – respektive den Machern dahinter – gut tut, tut nicht zwangsweise dem Staatsganzen gut. In die eigenen Taschen zu wirtschaften, ohne das Prosperieren und Wohlbefinden der Gesellschaft im Auge zu haben, ohne den verantwortungsvollen Blick aufs Staatsganze – das ist genau das, was Neoliberalismus ausmacht. Nicht Liberalismus wohlgemerkt, denn der bedeutet etwas ganz anderes. Wie schmerzlich fehlen inzwischen verantwortungsvolle, aktive und grundsätzlich wohlwollende Wirtschaftspolitiker aus den verschiedenen Lagern, wie Claus Raidl, Hannes Androsch, Ferdinand Lacina, Franz Fischler oder auch Josef Taus es waren. Heute gehen die handelnden Personen, oft hauptsächlich die gefüllten eigenen Taschen im Hinterkopf, ebenso verantwortungslos wie rücksichtslos und kurzsichtig vor.
Rücksichtslos: Wenn Österreich durch ihre Agitation hinter den Kulissen nun eine Rechtsaußen-Staatsführung bekommt, mit der international außer bei Despoten, Radikalen und Staatsterroristen Marke Putin alles, nur kein Staat zu machen ist, scheint sie das wenig zu kümmern. Solange das mit dem eigenen Vorteil funktioniert, solange sie unbehelligt schalten und walten und auch sonst ungehindert ihr Ding durchziehen können. Ob das fürs Land und seine Menschen gut ist oder nicht, scheint zweitrangig.
Kurzsichtig: Dem Standort Österreich tut ein Bundeskanzler Kickl mittelfristig mit Sicherheit alles andere als gut. Internationale Ächtung kann auf Dauer gesehen eine scharfe Waffe sein. In einem Land, das von einem regiert wird, der Putins Schreckensregime wenn schon nicht gutheißt, dann zumindest nicht ablehnt, werden sich kaum ernsthafte westliche Unternehmen Investoren engagieren. Das bringt auf Dauer keine Arbeitsplätze, das kostet welche.
Wenn Kickl und seine in der künftigen Regierungsverantwortung zu erwartende Truppe die internationale Reputation Österreichs in den kommenden Jahren pulverisiert, kann das dem Wirtschaftsstandort nicht gut tun. Die Zukunft heißt Ökologisierung, darauf haben sich die Unternehmen vorzubereiten, wollen sie langfristig reüssieren. Wer das nicht tun will oder aufgrund der Rücknahme entsprechender Gesetze nicht tun kann, bleibt auf 10, 20 oder 30 Jahre betrachtet übrig. Kickl und seine Truppe werden die Ökologisierung nicht vorantreiben, sondern sie bremsen. Sie werden Österreich vom geltenden EU-Konsens weg in Richtung Orban, Putin, Fico, Le Pen und Co. führen. Und die ÖVP, diese angebliche Wirtschaftspartei, die sich mehr und mehr als das genaue Gegenteil herausstellt, wird sich zur Komplizenschaft erniedrigen lassen. Um zumindest einen Zipfel Macht zu erhalten, geben sich die Schwarzen mit ihrer Hinwendung zur Kickl-Gang endgültig selbst auf. Das V im Parteinamen steht schon längst nicht mehr für Volkspartei. Sondern womöglich für verlogen, verbogen, verantwortungslos, verloren.
So sieht es also nun aus: Die eine ehemals staatstragende Partei ist zum Haufen Verlogener mit verbogenem Rückgrat, Verantwortungsloser und Verlorener degeneriert. Die andere – die SPÖ nämlich – ist ohnehin seit längerem komplett lost in Translation. Was aus der Stabilität vergangener Tage wurde, ist die Befürchtung: Mit Österreich geht es bergab. Abkehr vom Umweltschutz, Reformresistenz, Annäherung an Russland, Verlassen des EU-Konsenses, Rechtsradikalisierung – das alles wird den Wirtschaftsstandort nachhaltig schädigen. So weit hat man in der Wirtschaft und in den Klüngeln, die hinter den Kulissen Blau-Schwarz betreiben, leider nicht gedacht. Oder, noch schlimmer: Es ist ihnen egal. +++