Start Siegls Senf Meinungsfreiheit, aber nicht für alle?

Meinungsfreiheit, aber nicht für alle?

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Für die letzte Sendung der ORF-Talkrunde „Im Zentrum“ wählte man das Thema Meinungsfreiheit. „Dürfen wir wirklich nichts mehr sagen?“ lautete der Titel. Während der Sendung berichtete Moderatorin Claudia Reiterer über die Empörung auf X (vormals Twitter), dass man den deutschen Philosophen Richard David Precht als Mitdiskutanten eingeladen hatte. Jemand wie Precht – der es versteht zu polarisieren – darf offensichtlich für viele Seher nicht beim Thema Meinungsfreiheit mitreden. Meinungsfreiheit ja, aber um Himmels willen doch nicht für Richard David Precht.

Ich wünsche mir kurz vor Weihnachten, dass man Argumente Andersdenkender wieder ernster nimmt und sich damit auseinandersetzt.  Die Gesellschaft verfällt vor allem dank der Algorithmen der Social Media immer stärker in Lagerdenken. Die eigene Echoblase bestärkt einen darin, das einzig Richtige zu denken und andere sind bloß zu dumm, um das Offensichtliche zu begreifen. So spart man sich die Beschäftigung mit dem anderen Argument und man kann sich nebenbei selbst erhöhen. Es ist ja auch angenehmer, nur Bestätigung zu finden und sich nicht mit Gedanken auseinandersetzen zu müssen, die einen zum Nach- oder noch schlimmer zum Überdenken der eigenen Meinung zwingen könnten.

Vor der Nationalratswahl schaltete eine anonyme Initiative Inserate mit dem Titel „Wählt nicht FPÖ!“ – ausschließlich in Bezirksblättern. Man hielt offensichtlich vor allem die ländliche Bevölkerung für zu dumm, um selbst zu begreifen, was gut für sie ist. Das Wahlergebnis zeigte aber dann, dass der Wunsch zum betreuten Wählen selbst in ländlichen Gegenden gar nicht so breitflächig anzutreffen ist, wie man sich das in Wiener Innenstadtbezirken erwartet. Die moralisch Selbsterhöhten wundern sich, dass andere Menschen ihren logischen Gedanken nicht nachvollziehen können: Die Demokratie ist nämlich dann in Gefahr, wenn die anderen das Falsche wählen. Nur als Anmerkung: In Umfragen steht die FPÖ mittlerweile bei etwa 35 Prozent Zustimmung – mehr als SPÖ, Grüne und KPÖ zusammen.

Man könnte daher – statt über die Dummheit des Wahlvolkes zu schimpfen – auch die Sorgen von Menschen ernst nehmen, selbst wenn man sie selbst nicht teilt oder für unberechtigt hält. Andere Meinungen sind nicht per se falsch, wenn sie nicht der eigenen entsprechen. Letztlich ist eine entwickelte Demokratie die Institution, die auf Basis verschiedener Meinungen Kompromisse findet. Zuhören ist die erste Voraussetzung dafür.

Und Richard David Precht zuzuhören, oder noch besser ein Buch von ihm zu lesen, kann durchaus erhellend wirken. Vielleicht hilft ja auch das Christkind mit einem Buch aus, das den eigenen Horizont ein Stück erweitert. Ich wünsche jedenfalls allen Leserinnen und Lesern ein frohes Weihnachtsfest. +++