Start Business As Usual Raidl und Androsch, zwei gegangene Giganten

Raidl und Androsch, zwei gegangene Giganten

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Gestern ist Claus Raidl gestorben, 82-jährig, heute Hannes Androsch, 86-jährig. Zwei Giganten der heimischen Wirtschaft, zwei Leuchttürme, beide auf ihre persönliche Art sehr unterschiedlich, beide besonders, beide mit großem Gewicht in der österreichischen Politik- und Wirtschaftslandschaft ausgestattet. Nachrufe wird es in den kommenden Tagen viele geben. Mich erinnern die beiden traurigen Nachrichten an einen Tag im Dezember des Jahres 2013, ich hatte mit den beiden ein Doppelinterview für das Nachrichtenmagazin “Format” vereinbart, in dessen Redaktion ich damals für das Ressort Innenpolitik schrieb. Thema war einem Bonmot des damaligen Chefs der Wirtschaftskammer folgend das “abgesandelte” Österreich, Nationalratswahlen waren gerade erst abgewickelt, eine Regierungsbildung stand unmittelbar bevor, und die beiden Granden sollten ihre jeweilige Sicht der offensichtlichen Degenerierung heimischer Politik miteinander besprechen.

Raidl und Androsch an einem Tisch, das erforderte Vorbereitung. Ich verbrachte Tage, mir diverse öffentliche Auftritte der beiden auf Video anzusehen, ihre Aufsätze zu lesen, Interviews früherer Tage zu studieren. Wir trafen uns im Innenstadtbüro von Androsch im Kärntneringhof, gegenüber der Wiener Staatsoper, das bereits eine Geschichte für sich hergeben würde. Ich erinnere mich, dass beide Herren eine originelle Gewohnheit gemein hatten – sie sprachen Journalisten wie mich, die ihnen nicht näher bekannt waren, ausnahmslos mit “Herr Redakteur” an. Nicht beim Namen, nicht völlig ohne Adressierung, sondern eben mit: Herr Redakteur. Altmodisch, aber irgendwie Ehrfurcht einflößend, weil eine gewisse Gravitas mitschwang. So oft in so kurzer Zeit wurde ich jedenfalls weder vorher noch nachher mit Herr Redakteur angesprochen wie in diesen beiden Stunden, die ich mit Androsch und Raidl bei Kaffee und Kuchen verbrachte.

Ein Interview wurde es nicht, eher ein Gespräch der beiden älteren Herren untereinander, ich hörte hauptsächlich zu und stellte nur zwischendurch kurze Fragen. Später, beim Niederschreiben, entschloss ich mich in Absprache mit der Chefredaktion, das Ganze in der Namenszeile dementsprechend auch nicht unter Interview”, sondern unter “Moderation” laufen zu lassen, ein für das Format eher ungewöhnlicher Zugang. Ich habe während des Termins viel gelernt, etwa wie man hart kritisiert und dennoch respektvoll bleibt. Wie man komplexe Zusammenhänge auf den Punkt bringt. Und die beiden Herren erwiesen sich so ganz nebenbei als ihrer Zeit zumindest um ein Jahrzehnt voraus.

Wir haben eine gelähmte Regierung, sagte Hannes Androsch zum Beispiel, und jetzt wursteln wir wieder weiter. Er sagte das im Jahr 2013, wohlgemerkt. Aber es hätte auch gestern sein können und würde genauso stimmen.

Die wirklich großen Probleme liegen nicht bei den Einnahmen, sondern bei der Dynamisierung der Ausgaben, sagte Claus Raidl. Wie gesagt, im Jahr 2013. Es hätte auch gestern sein können und würde genauso stimmen.

Beide forderten eine Erhöhung der Grundsteuer zur Sanierung des maroden Budgets, beide urgierten umfassende Reformen und ein Verlassen “dieser bleiernen Mutlosigkeit”. Als hätten sie das gestern gesagt.

Es war offensichtlich, dass Raidl und Androsch sich mochten, auch wenn sie, der Schwarze und der Rote, aus politisch verschiedenen Lagern kamen. Doch das war egal, sie waren sich einig: So konnte es nicht weitergehen. Es müsse alles besser werden, sagten sie unisono. Seit damals wurde jedoch alles schlechter.

Ich hatte mit beiden dann im Laufe der Jahre immer wieder zu tun, immer wieder einmal bat ich den einen oder den anderen um einen Gastkommentar oder holte ein Statement für eine Geschichte ein – im Format und später, als das Format eingestellt war, im trend, für den ich im Anschluss schrieb. Nach dem Interview, das ihnen wohl selbst gefallen haben mag, standen sie mir immer bereitwillig als starke Stimmen zur Verfügung, ohne die professionelle Distanz zu verlieren. Es blieb stets beim “Herr Redakteur”. Aber ich konnte beide jederzeit anrufen, wenn ich das Gefühl hatte, sie konnten was zu einer Story beitragen, sie hoben immer ab oder riefen zurück. Natürlich hatte das auch mit der persönlichen Eitelkeit beider Herren zu tun, die aber allen großen Persönlichkeiten in gewissem Ausmaß innewohnt.

Ich habe beide sehr geschätzt, sie waren durchaus Lichtgestalten auf ihre Art und Weise, zwei Leuchttürme in dieser oft bemitleidenswerten Landschaft der österreichischen Wirtschafts- und Innenpolitik, in der es vor Blendern, nur fast so Guten, Großspurigen im Schmalspurformat und Wichtigtuern ohne Wichtigkeit nur so wimmelt. Sie hatten etwas beizutragen und etwas zu sagen, und sie sagten es auch. Dass beide nun im Abstand nur eines einzigen Tages gestorben sind, ist schon irgendwie seltsam. Mir ist jedenfalls gestern, als ich von Raidls Tod erfuhr, sofort dieses Doppelinterview von damals eingefallen. Und heute, bei der Nachricht von Androschs Ableben, gleich noch einmal. Mögen die beiden von uns gegangenen Giganten in Frieden ruhen. +++

P.S. Das komplette Doppelinterview kann auch heute noch auf der Website von Hannes Androsch abgerufen und gelesen werden, klicken Sie einfach hierher.

Aufmacherbild: Screenshot Format, Ausgabe 51-52/2013