Start Siegls Senf Liebe Regierungsverhandler – ich brauche keine „Erzählungen“

Liebe Regierungsverhandler – ich brauche keine „Erzählungen“

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Die geplante „Zuckerlkoalition“ wird vor allem bittere Pillen zum Schlucken und saure Äpfel zum Reinbeißen auf den Tisch legen. Deshalb heißt es von jedem Politikberater und -erklärer, die neue Regierung brauche „vier, fünf große Erzählungen“. Jetzt habe ich selbst etwa zehn Jahre in der PR gearbeitet und kenne daher die Bedeutung von Verpackungen, aber für mich selbst braucht es keine „Erzählungen“, keine „Narrative“.

Ich bin bescheiden. Ich will lediglich eine Bundesregierung, die im Normalfall mit dem Geld auskommt, das sie uns jährlich abnimmt, und nicht jedes Jahr noch mehr Schulden zu Lasten unserer Kinder aufhäuft. In diesem Jahr werden etwa 20 Milliarden Euro mehr ausgegeben als eingenommen.  Ich hätte gerne eine Bundesregierung, die für die 250 Milliarden Steuern einen funktionierenden Staat für knapp 10 Millionen Menschen – immerhin mehr als 25.000 Euro pro Person und Jahr – hinbekommt.

Ich will ausreichend verfügbare Ärzte und Altenpfleger, ein Bildungssystem, das junge Menschen entlässt, die sinnerfassend lesen können und an Demokratie und Menschenrechte glauben. Und einen Sicherheitsapparat, der dafür sorgt, dass nur jene im Land frei herumlaufen, die sich weitgehend an die Regeln halten. Gut wäre noch ein Staat, der die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so hinbekommt, dass mehr als 95 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung einen ordentlichen Job haben und nicht die Unternehmen reihenweise zusperren oder das Land verlassen wie derzeit.

Kurz gesagt, ich möchte, dass junge Menschen wieder mit Zuversicht in die Zukunft schauen und erwarten können, dass es ihnen mindestens gleich gut gehen wird wie ihren Eltern, im Normalfall sogar besser. Die Aussicht auf eine mindestens die Grundbedürfnisse abdeckende Pension inklusive.

Ich brauche hingegen keine neun Bauordnungen und neun Jugendschutzgesetze, keine eigene Abteilung für Kreisverkehrskunst in der Landesregierung und keine Bundessubventionen sowohl für Diesel als auch für Elektroautos und dann für Pendler noch obendrauf. Ich brauche auch keine Behörde, die mir vorschreibt, ob eine Fußmatte vor der Eingangstür für mich im Brandfall eine Gefahr darstellt. Diesbezüglich bin ich völlig bescheiden.

Was ich mir vielleicht noch wünsche ist eine Regierung, die sich überlegt, dass jedes geförderte E-Auto die künftigen Mineralölsteuereinnahmen ebenso reduziert wie jeder Roboter und jede KI-Anwendung es bei den Lohnsteuereinnahmen bewirken wird. Ein paar Gedanken über die Zukunft unserer Arbeit und unseres Steuersystems wären also noch nett.

Aber das muss nicht gleich eine Erzählung im Jänner werden. Ein ausgereiftes Konzept im Jahr 2027 – so es da diese Regierung ohne Zuckerl noch geben wird – wäre völlig ausreichend.  Übrigens: All das nennt man weder “Erzählkunst” noch “Raketenwissenschaft”, sondern “politisches Handwerk”. +++