Es wird also sondiert im Land. ÖVP und SPÖ suchen jetzt einmal ihre Schnittmengen und die Kompromissfähigkeit des jeweils anderen. ÖVP-Chef Karl Nehammer sagte: „Das Wahlergebnis ist mit Sicherheit kein Auftrag zu einem „Weiter wie bisher“. Also zu dem, was er in den drei Jahren seiner Kanzlerschaft gemacht hat. Und SPÖ-Vorsitzender Andreas Babler nahezu wortgleich: „Ein Weiter wie bisher wird es nicht geben, auch kein Zurück in die Vergangenheit.“
Die Worthülsen sind also da, mit positivem Denken lässt sich auch interpretieren: Die Richtung, in die die Verhandlungen gehen sollen, stimmt. Nehammer sagte weiter: „Unser Land braucht Veränderung und Reformen.“ Der Befund ist zweifellos richtig – vom Wirtschaftsstandort über das Budget bis zu Gesundheitssystem und Pflege, überall wurden Reformen lange verschlafen. Eine kleine Ergänzung zum Bundeskanzler sei jedoch erlaubt: Unser Land braucht echte Reformen. Andere, die vor allem aus Marketing bestanden, hatten wir mehr als genug. Von der Zusammenlegung der Krankenkassen bis zum Schließen der Balkanroute.
Aber sind ÖVP und SPÖ wirklich bereit, mutige und damit auch bei Teilen der Bevölkerung unpopuläre Reformen anzugehen? Das Pensionssystem an die Realität der steigenden Lebenserwartung anzupassen? Beide Parteien haben es vor der Wahl ausgeschlossen. Gar die zweite Säule des Systems zu stärken, wenn sich bei Andreas Babler selbst beim bloßen Wort „Kapitalmarkt“ bereits die Gesichtsmuskeln verkrampfen? Krankenhäuser zusammenzulegen, wenn das nicht einmal bei den Autokennzeichen von Liezen und Bad Aussee möglich war? Das Bildungssystem wieder dorthin zu bringen, wo es für eines der teuersten Länder der Welt sein sollte? Dann müsste man wohl als ersten Schritt zugeben, dass das größte Problem Schüler sind, die für einen sinnvollen Unterricht nicht ausreichend Deutsch können? Selbst, wenn sie in Österreich geboren sind. Das Budget zu sanieren, obwohl Schulden für die nächste Generation zu hinterlassen doch so viel bequemer ist?
Die Liste der bisherigen Versäumnisse wäre noch viel länger, aber bleiben wir realistisch: Selbst so viel Mut für die oben genannten vier Punkte trauen die meisten von uns keiner der beiden Parteien zu. Aber wir lassen uns gerne positiv überraschen. +++