Österreichische Bundespräsidenten sind nicht unbedingt für ihre deutliche Wortwahl bekannt. Wenn Heinz Fischer etwas befürwortete, sagte er ungefähr, es sei durchaus diskussionswürdig, ob man sich diesem Gedanken annähern wolle.
Auch Alexander Van der Bellen fügt sich meistens in diese Tradition ein. Umso bemerkenswerter waren seine Worte zum Nationalfeiertag, in denen er seinen Arbeitsauftrag an die nächste Bundesregierung öffentlich formulierte. Nicht wie sonst als frühen Schlaftrunk um 20 Uhr, um die Nation in ruhige Träume zu entlassen. Nein, er wirkte eher, als hätte er beim Schreiben Red Bull statt Kamillentee erwischt. “Ich glaube, es ist als erstes notwendig, die Dinge anzuerkennen, wie sie sind. Und ein paar einfache, aber unbequeme Wahrheiten auszusprechen”, sagte der Bundespräsident. “Erstens: Die Probleme werden sich nicht von selber lösen. Denn zweitens: Es gibt keinen schmerzfreien Weg, die Probleme zu lösen.”
Und dann zählte er auf: Klimakrise, Teuerung, soziale Probleme, das überraschte noch weniger. Angesichts der schwachen Wirtschaftslage seien neue Ansätze gefragt – gut, immerhin war er einmal Volkswirtschafts-Professor. Aber plötzlich sprach der ehemalige Bundessprecher der Grünen von den „Migrationsproblemen“. „Wer bei uns leben will, muss Deutsch lernen, unsere Kultur, unser Rechtssystem und die Gleichberechtigung von Mann und Frau anerkennen“, sagte er. „Wer das nicht anerkennt, ist nicht willkommen.“ Aber holla, fordert er in der Weihnachtsansprache gar Abschiebungsflüge nach Kabul?
Er betrat sogar noch die politische No-go-Area: „Das Pensionssystem ist so nicht zukunftssicher“, sagte der Bundespräsident; um es zu stabilisieren, „wird es Beiträge von uns allen brauchen“. Spätestens hier werden Karl Nehammer und Andreas Babler die Ohren geschlackert haben. Und Beate Meinl-Reisinger wird sich gefragt haben, ob sie versehentlich ein Rede-Manuskript in der Hofburg vergessen hat.
Man kann nur hoffen, dass diese Worte bei den Verhandlungsteams von ÖVP und SPÖ nachhallen. Denn so viel Realitätssinn, der auch noch vor der TV-Kamera ausgesprochen wird, findet man in Österreich selten. Wie sagte der Bundespräsident: Es sei notwendig, die Dinge anzuerkennen, wie sie sind. Und viele von ihnen sind nicht mehr gut. +++