Schnell wird es diesmal nicht gehen mit der Regierungsbildung. Jetzt haben die Stunden, oder besser gesagt, die Wochen der Taktik begonnen. Und Taktik heißt vor allem abwarten, bis sich die anderen bewegen. Im Zentrum der Macht sitzt wie erwartet die ÖVP. Sie kann auf die Angebote warten, um zu entscheiden, wer diesmal ihr Herzblatt werden soll. Die Volkspartei will jetzt einmal – taktisch durchaus klug – den Bundespräsidenten gegen dessen Willen vorschicken, damit Herbert Kickl mit einer versuchten Regierungsbildung in der ersten Runde scheitert.
Die FPÖ hat die Wahlen zu klar gewonnen und läuft nun Gefahr, sich auf dem ersten Platz verloren zu haben. Mit einem zweiten Platz oder auch 415 Stimmen Vorsprung auf die ÖVP wie im Jahr 1999 wären die Chancen für Schwarz-Blau deutlich höher als bei einer Differenz von 129.000 Stimmen. Da wird es schwer zu argumentieren, dass Herbert Kickl auf den Kanzler-Sessel verzichten soll. Die ÖVP hat spekuliert, noch knapp Erster zu werden oder zumindest im Windschatten der Freiheitlichen zu liegen und kommt nun schwer aus ihrer „Nicht mit Kickl“-Wahlnummer heraus.
Somit wird sich die Volkspartei einmal in aller Ruhe ansehen, was die SPÖ und die NEOS auf den Gabentisch legen, um knapp vor Weihnachten ihre Gunst zu gewinnen. Vermögen- und Erbschaftssteuer kann die Sozialdemokratie gleich einmal für fünf Jahre im Parteimuseum lagern.
Sollte Andreas Babler allerdings den gleichen Fehler wie Sven Hergovich in Niederösterreich machen und mit jeder Menge „unverzichtbarer Forderungen“ in die Verhandlungen gehen, wird man in der Volkspartei rasch die Meinung zu Herbert Kickl überdenken und „das Land vor der Unregierbarkeit bewahren“, wie der Stehsatz bei diesen Gelegenheiten lautet. Programmatisch ist man ohnehin der FPÖ sehr viel näher; die Volkspartei will lediglich den Kanzlersessel behalten. Und in einer Zweiter-Koalition bekommt man mehr Ministerposten, zudem nervt kein Dritter beziehungsweise keine Dritte und mahnt dauernd „Reformen“, oder von was auch immer Beate Meinl-Reisinger da stets spricht, ein.
Abschließend bleibt zu sagen, dass all die Initiativen von anonymen Zeitungsinseraten über offene Briefe linker Künstler bis zu Volkstheater-Aufführungen mit Fäkalien emittierender „Hitlers“ wieder einmal den Freiheitlichen mehr geholfen als geschadet haben. Viele Menschen im Land reagieren offensichtlich eher allergisch darauf, wenn ihnen Schauspieler und Literaten vorschreiben wollen, wen sie wählen dürfen und wen nicht. +++