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Woran Sie morgen beim Wählen denken sollten

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Nehmen wir uns einen Tag vor der Nationalratswahl Zeit und denken wir einmal darüber nach, was im Stimmungs- und Erinnerungsbild zu jeder Partei aus der ablaufenden Legislaturperiode haften geblieben ist. Was die vergangenen fünf Jahre in unserer Erinnerung verankert haben.

Von der ÖVP ist geblieben: Sie kann es einfach nicht. All das, woran unser Land inzwischen leidet, all die Themen, von denen der noch amtierende ÖVP-Bundeskanzler versprochen hat, dass er sie in Zukunft besser machen will – das geht alles auf das Konto der ÖVP. Denn die ÖVP ist seit Jahrzehnten (ja, so lange dauert das schon) in der Regierung. Was sie in diesen vergangenen Jahrzehnten nicht geschafft hat, warum sollte sie es in den nächsten fünf Jahren zusammenbringen? Daran wird man morgen an der Wahlurne wohl denken müssen. Und auch an all die Probleme von Corona bis zur galoppierenden Inflation, vom Steuerwahnsinn bis zur Bodenversiegelung – denn all das trägt zu einem nicht unerheblichen Teil die Handschrift der ÖVP. Außerdem in Erinnerung: zwei große Lügen. Sowohl in Niederösterreich als auch in Salzburg haben die jeweiligen ÖVP-Landeschefs Stein und Bein geschworen, nach der Landtagswahl keinesfalls mit der FPÖ zu koalieren. Nach dem Wahlsonntag ging die ÖVP dann sowohl in Salzburg als auch in Niederösterreich prompt eine Koalition mit der FPÖ ein.

Von der SPÖ ist geblieben: Die diversen zirkusreifen Auftritte der vergangenen Jahre. Eine abmontierte Parteichefin, die mittlerweile ihr berufliches Glück in einem EU-Job gefunden hat. Und: ein Kasperltheater bei der Kür ihres Nachfolgers, die Nichtbeherrschung des Office-Programms “Excel” sowie einfacher Grundrechnungsarten. Ein Landeschef, der ein Gewehr offen auf der Rücksitzbank seines Porsche liegen lässt. Skurrile Auftritte der alten Parteichefin (Würgen eines Mikrophons) ebenso wie ihres Nachfolgers (“Ich bin ein Marxist”). Man könnte in den vergangenen fünf Jahren den Eindruck gewonnen haben, die SPÖ ist zur Clown-Gang verkommen. Und man könnte daraus den Schluss ziehen: Wer nicht einmal Excel kann, der kann wohl auch kein Land führen.

Von den Grünen ist geblieben: Wohl hauptsächlich die Erkenntnis, dass sie eine einzige große Enttäuschung sind – mehr noch: DIE große Enttäuschung in der Regierung. Und im Detail zwei völlig überforderte Gesundheitsminister samt erschreckend hanebüchener Medienauftritte sowie ihr Nachfolger, der sich gerade einmal so durch die Probleme kämpft, aber keine Lösungen hat. Eine stets etwas clownesk wirkende und einigermaßen erratisch agierende Klimaministerin, die ganz offensichtlich die persönliche PR über alles stellt. In Sachen Klima haben die Grünen viel versprochen, viel und laut getrommelt, aber wenig erreicht. viel zu wenig. So geht echter Umweltschutz jedenfalls eher nicht. Von den stets ein wenig wehleidig wirkenden Auftritten der grünen Parlamentsklub-Chefin wird gar nichts bleiben, denn die waren und sind meist zum Vergessen. Und was noch bleibt: Die unerwartete Erkenntnis, dass der Parteichef, ein ehemals kompetenter, respektabler und erfolgreicher Oppositionspolitiker, sofort zum üblichen Blahbla-Rhethoriker verkommen ist, als er Regierungsverantwortung übernommen hat.

Von der FPÖ ist geblieben: Die Bestätigung, dass die Blauen genauso sind, wie sie eben sind. Alles, was man ihnen nachsagt, könnte stimmen. Immer wieder zeigt sich: Kickl und Co. spekulieren offen oder weniger offen mit der Dummheit der Menschen. Lässt man Revue passieren, was die FPÖ in den vergangenen fünf Jahren alles gesagt hat, was sie gefordert hat, wofür sie gestanden ist, was sie getan hat, dann kann man als verantwortungsbewusster und intelligenter Mensch gar nicht anders als den Schluss ziehen: Die FPÖ sollte lieber nicht gewählt werden. Das könnte nämlich demokratiegefährdend sein.

Von den Neos ist geblieben: Sie würden gern, aber man lässt sie halt nicht. Die einzige Partei im Nationalrat, die noch nie Regierungsverantwortung getragen hat, kam auch in den vergangenen fünf Jahren über den Status des eh herzigen Statisten nicht hinaus. Alle mögen Beate Meinl-Reisinger, die inzwischen jedoch Gefahr läuft, vom politischen zum ewigen Talent zu verkommen. Geblieben ist das alte Problem der Neos – eine erhebliche Ausdünnung an Intellektualität und Professionalität hinter den wenigen Spitzen-Repräsentanten. Schon in der Riege jener Nationalratsabgeordneten, die nur spärlich in der Öffentlichkeit präsent sind, macht sich im einen oder anderen Fall ein gewisser Dünnbrettbohrer-Faktor breit. In den Länder-Mannschaften sowieso. Den Neos fehlt der professionelle Unterbau, die Basis jeder nachhaltigen Spitzenpolitik. Daran konnte auch die abgelaufene Legislaturperiode wenig ändern. Und sie haben es darüber hinaus immer noch nicht geschafft, endlich mit dem großen Missverständnis aufzuräumen, die Partei sei neoliberal.

All das ergibt natürlich ein schockierendes Bild vom Zustand unserer Demokratie, vom Zustand der Parteien und vom Niveau der antretenden Spitzenpolitiker. Und ist wohl ein Grund für jene Tendenz, die sich seit vielen Jahren in Österreich breit macht: den Zug des Wahlvolkes zur Emigration von der Demokratie. Einerseits direkt, weil immer mehr Menschen einer wenig demokratischen Partei ihre Stimme geben. Und andererseits indirekt, weil auch immer mehr Menschen auf die Abgabe ihrer Stimme überhaupt gleich verzichten. Die Zahl der Nichtwähler ist ein Indikator für die Verfasstheit der Demokratie eines Landes. In Österreich ist es schlecht um sie bestellt – nicht nur, wenn morgen die FPÖ tatsächlich stärkste Partei werden sollte, was in höchstem Maße schockierend wäre. Sondern vor allem, wenn es morgen wieder einmal einen neuen Rekord an Nichtwählern geben dürfte.

Auch daran sollten Sie morgen denken – und nicht zu Hause bleiben, sondern zum nächstgelegenen Wahllokal marschieren, um Ihre Stimme abzugeben. Sie stimmen damit – ganz gleich, wen Sie wählen – für die Demokratie an sich. Und das ist das Wichtigste überhaupt. Wenn Sie es der Politik insgesamt heimzahlen wollen, weil Sie sich an den ganzen Wahnsinn erinnern, den die politischen Parteien in den vergangenen fünf Jahren abgeliefert haben, dann wählen Sie eben schlimmstenfalls ungültig. Aber wählen Sie. +++