Start Editor's Blog Vom Crash-Ritmo und der Liebe zum Erpel Nikolaus

Vom Crash-Ritmo und der Liebe zum Erpel Nikolaus

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Ich gehe auf die 60 zu. Das macht gut vier Jahrzehnte Führerschein. Und weil ich heute Nacht schlecht geschlafen habe, womöglich erste Anzeichen einer am Horizont auftauchenden senilen Bettflucht, vielleicht aber auch nur die Folgen einer sorgenvoll gewordenen Existenz, setzte ich mich auf meine Mondseer Terrasse. Ich bestaunte den makellosen Sternenhimmel und kraulte Kater Schrödinger hinter den Ohren, der sich zu mir auf den Nachbarsessel gelegt hatte. Die vielen weißen Punkte über mir ließen mich an den Erpel Nikolaus denken, doch davon später. Mir fielen jedenfalls die zahlreichen Autos ein, die ich in meinem Leben bisher besessen habe.

Es ist nämlich so: Ich hatte in den gut vier Jahrzehnten meiner Existenz als Führerschein-Besitzer wirklich schon ziemlich viele. Und ziemlich unterschiedliche. Ohne Testfahrzeuge (ich war früher noch ab und zu in meinem Job privilegiert, weil mich manche Herausgeber trotz nicht vorhandenen Fachwissens Autogeschichten schreiben ließen) kam ich beim Nachzählen auf 20 Stück. Bei 40 Jahren Führersschein macht das also im Schnitt genau ein neues Auto alle zwei Jahre – eine durchaus bescheuerte Quote. Heute frage ich mich, wo ich die Leichtfertigkeit hernahm, soviel Geld einfach beim Fenster hinaus verpuffen zu lassen. Eine Sinnlosigkeit, selbst wenn die Fenster sich irgendwann ab den 1990er-Jahren elektrisch hinunter und wieder hinauf fahren ließen. Aber immerhin, mit dem vielen Blech summieren sich im Laufe der Jahre auch die Geschichten, die man erzählen kann. Das ist wiederum eigentlich ganz in Ordnung. Ich erzähle Ihnen heute also ein paar Storys aus meinen allerersten Autojahren, frisch ausstaffiert mit dem Führerschein.

Auto Nummer 1 – der Ritmo: Immer noch berichte ich gerne von meinem allerersten Auto. Nach der Führerscheinprüfung hatte ich mein Angespartes für die uneingeschränkte Mobilität jenseits von Mofa, Vespa, Straßenbahn und ÖBB eingesetzt, die mir damals als das erstrebenswerteste aller denkbaren Paradiese erschien. Mit 18 bist du halt noch ein bissl matschig in der Marille und weißt nicht, dass es viel bessere Wege gibt, die du mit Geld beschreiten kannst. Weil in meiner gesamten Familie der distanzierte Durchblick auf die Welt nie so richtig vorhanden war, gab es auch niemanden, der mir sinnvollere Möglichkeiten aufgezeigt hätte. Stattdessen freuten sich alle für mich, und die Tanten und Onkels, die meine über die juvenilen Jahre akkumulierte Silbermünzensammlung fleißig mit Content befüllt hatten, klatschten Beifall, als ich die Münzen – und noch Anderes – gegen einen gebrauchten weißen Fiat Ritmo eintauschte.

Der war cool, damals.

Der Ritmo hatte ein getöntes aufklappbares Dachfenster, dazu 75 PS, und ich befestigte am Rückspiegel das Foto einer mir damals verheißungsvoll erscheinenden jungen Dame, was sich insgesamt aber als reine Verzweiflungshandlung herausstellte, weil der Ritmo sie völlig unbeeindruckt ließ und meine unbeholfenen sozialen Interaktionsversuche ebenso erfolglos blieben wie in der Vorautozeit. Jedenfalls, ich startete zeitgleich auch meine journalistische Laufbahn. Ich schrieb beim steirischen Schülermagazin “Crash” mit, eine beeindruckend dilettantisch gemachte Postille, in der Geld jedoch wegen der persönlichen Situiertheit des Herausgebers kein Thema war, der inhaltlich fleißig mitmischte, obwohl er von Journalismus null Ahnung hatte. Der junge Mann ließ überdimensionale Aufkleber mit dem Namensschriftzug seines Mediums produzieren und ich war tatsächlich blöd genug, mir so ein Ding quer über die Motorhaube zu kleben.

Ich fuhr dann also einen Fiat Ritmo, der riesengroß das Wort “Crash” in pinken Buchstaben auf der schneeweißen Motorhaube kleben hatte. Und ich war auch noch stolz darauf, ich Trottel.

Der Doppelsinn wurde mir erst klar, als ich mit dem Fiat einen Verkehrsteilnehmer rammte und meine Motorhaube fein säuberlich zu einer Steilwand hochgefaltet wurde. A die Eiger-Nordwand war nichts dagegen und an der Vorderseite, der Welt zugewandt, stand nun völlig unversehrt “Crash” zu lesen. Und das an einem Autowrack. Hatte was. Damals war ich zwar ein bissl konsterniert, heute kann ich herzhaft über die umstandslose Transformation einer über Jahre angesparten Silbermünzensammlung in einen Totalschaden und die öffentliche Stigmatisierung desselben lachen. Und das will was heißen, denn inzwischen bin ich praktisch arbeitslos, arm wie eine Kirchenmaus, und zu mehr als einem gebrauchten kleinen Peugeot reicht es nicht mehr.

Was jedenfalls nach dem Ritmo folgte, war ein sehr gebrauchter Skoda, den ein mitfühlender Onkel mir schenkte, weil er sich stattdessen einen Ford Escort zulegte.

Nummer 2 – der Skoda: Zunächst war ich erleichtert, wieder mobil zu sein. Die Tatsache Skoda versuchte ich zu negieren, indem ich hinten das Typenschild abschraubte und stattdessen mit roter Farbe einfach Ferrari auf das Auto schrieb. Man tut sich halt ziemlich leicht mit der Selbsttäuschung, wenn man jung ist. Ich bewältigte mit dem Skoda meinen anstehenden Umzug nach Wien, der erste von vielen folgenden hin und zurück und so weiter, was ich damals aber natürlich noch nicht wusste.

Ich werde Ihnen hier jetzt jedenfalls nicht von meinem Wien-Graz-Dilemma und dem folgenden Gefühl einer zerstörerischen grundsätzlichen Heimatlosigkeit erzählen, das ich wohl mein Leben lang nicht mehr sauber auf die Reihe kriegen werde. Wichtig ist, dass Sie wissen: Skoda war damals nicht das Unternehmen von heute. Über die Geschicke entschied nicht VW, sondern das Zentralkomittee der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. Das bedeutete: Skodas waren grottenschlechte Rostschüsseln, in die außer meinem Onkel, meinem Vater und dann auch mir praktisch kein vernünftiger Westeuropäer einzusteigen wagte.

Leicht war der Transport von Menschen und Dingen mit dem Skoda auf jeden Fall nicht, weil das Auto die Marotte hatte, das Thermostat nach einem undurchsichtigen Zyklus immer wieder einmal streiken zu lassen. Dann überhitzte der Motor und der Innenraum  – die Tschechen haben ihre Autos damals wirklich ein bissl seltsam konstruiert, VW macht das seit der Übernahme natürlich viel besser – wurde mit weißem Rauch verqualmt. Warum der Dampf nicht außen abzog sondern jeweils ins Fahrezuginnere drang, ich weiß es nicht. Jedenfalls stank es bestialisch und man musste dann immer eine ein- oder zweistündige Pause einlegen, Wasser nachfüllen, dann hatte die Sache sich wieder.

Irgendwann wurde mir das lästig. Du bleibst einfach nicht gern alle paar hundert Kilometer am Fahrbahnrand liegen, wenn du nicht halbwegs klar prognostizieren kannst, wann es passiert. Und in Sachen konkludente zeitliche Pannengestaltung war der Skoda eine echte Diva.

Als ich dann eines Tages auf der A2 in Richtung Südstadt am Weg zu einem Handballspiel wieder einmal die Thermostat-Troubles als weißen Rauch in den Innenraum ziehen sah und es gerade noch von der Autobahn auf die nächstbeste Bundesstraße bei Mödling schaffte, kam ich – reiner Zufall – direkt neben einer Telefonzelle zum Stehen. Als moderner Mensch wissen Sie vermutlich nicht mehr, was das ist: ein kleines Häuschen aus Metall und glas, das man betreten konnte, um Münzen in eine Apparatur zu werfen, damit man damit telefonieren konnte. Handys gab es damals noch nicht. Ich war in meiner Jugend ein Mensch schneller, komromissloser Entschlüsse. Jedenfalls war in diesem Moment der Hass auf den Skoda groß genug, direkt aus dem Auto aus- und in die Telefonzelle einzutreten, beim Anzeigenblatt “Wiener Bazar” (Print selbstverständlich, denn das Internet hatte sich auch noch nicht in seine Existenz geworfen) anzurufen und eine Annonce aufzugeben. Binnen Wochenfrist war der Skoda Geschichte und ich investierte die dreitausend Schilling Erlös eine Zeit lang in die flüssige Abendgestaltung mit Studienkollegen.

Nummer 3 – Nikolaus: Nach längerer Pause, die ich in der Großstadt Wien autofrei verbrachte, kam Nikolaus, den ich mochte wie kein Auto davor und bisher danach auch keines mehr. Ein Grazer Freund verbachte seine Freizeit damit, aus verschiedenen 2CV-Wracks fahrtaugliche neue Exemplare zusammenzuschrauben. Er erledigte das vorzüglich, versorgte auf diese Weise den gesamten Freundeskreis nach und nach mit super Enten.

Sie wissen eh noch, oder? Die “Ente”. Der Citroen 2 CV!

Praktisch null PS, Fahrverhalten nicht vorhanden, die seltsamste Schaltvorrichtung des Planeten, Klapp-Seitenfenster, Rost als Teil der Standardausstattung ab Werk, Heizung ein Fremdwort und in Kurven ein Schaukelverhalten wie eine venezianische Gondel bei Hochwasser. Aber man konnte das Dach aufmachen und war in diesem Auto dann einfach immer guter Laune. Enten waren die besten Fahrzeuge der Welt.

Die Mutter meiner damals noch ungeborenen Tochter und ich beschlossen, die Ente einen Erpel sein zu lassen und ihn Nikolaus zu taufen.

C und ich hatten eine schwierige Beziehung, keine Frage, wir wollen da auch im Nachhhinein nichts beschönigen. Aber wenn wir mit Nikolaus unterwegs waren, waren wir immer glücklich. Zumeist rollten wir das Dach nach hinten, was schon einmal zu einer halbstündigen Prozedur ausarten konnte, in der man sich in die Augen sah, weil man gegenüber an den beiden Flanken des Erpels Position beziehen musste. Dann fuhren wir übers Land, sahen tagsüber ins schöne Blau über uns hinauf und abends in den zumindest in meiner Erinnerung oft makellosen Sternenhimmel. Es war wunderbar. So gerne würde ich Ihnen Nikolaus zeigen, aber ich weiß nicht, wo die vielen Fotos von ihm hin verschwunden sind. Er war grasgrün und hatte gelbe Kotflügel und es war wie gesagt das einzige Mal, dass ich ein Auto wirklich geliebt habe.

Das Potenzial war beim viel später folgenden soulredroten MX-5, den ich sieben Jahre lang besaß, zwar durchaus wieder vorhanden, aber naja. Der kleine Mazda läutete eine wirklich schwierige Phase meines Lebens ein, die noch andauert und es mir emotional auch beim besten Willen nicht möglich macht, das Auto gern zu haben – auch wenn der kleine Flitzer nüchtern betrachtet richtig super war.

Doch nun sprechen wir von Nikolaus: Während der ersten zwei Jahre meines Wiener Publizistikstudiums leistete er mir großartige Dienste. Er funktionierte zwar noch viel öfter nicht als der Skoda, aber bei Nikolaus ließ mich das kalt. Ich schaffte mir einfach eine ÖAMTC-Mitgliedschaft an und machte es mir zur Gewohnheit, bei Minusgraden eine Dreiviertelstunde vor geplanten Abfahrten den Pannendienst auf Verdacht zu kontaktieren – denn ich war sicher, Nikolaus würde nicht anspringen wollen. Dann stand ich am Fenster, sah auf die Straße hinunter und dachte an Gott und die Welt, während ich darauf wartete, dass das Pannenfahrzeug kam. Sah ich das gelbe Auto um die Ecke biegen, wußte ich, jetzt geht meine Ausfahrt gleich los, zog Schuhe und Mantel an und trollte mich nach unten. Mit der Zeit kannte ich dann alle ÖAMTC-Pannenfahrer beim Vornamen. Nikolaus war ein höchst kommunikationsförderndes Auto.

Später verstellte sich das Standgas und ich musste beim Schalten immer Zwischengas geben. Dass dann bald einmal auch der linke Blinker ausfiel und ich beim Abbiegen das Seitenfenster hochklappen und Handzeichen geben musste, störte mich erst, als die Fensterhalterung ihren Geist aufgab. Ich musste die untere Glashälfte schwungvoll nach oben stoßen und schnell meine Hand rausstrecken, bevor das Fenster wieder nach unten sauste. Dass es mir dann oft ziemlich heftig auf den Unterarm fiel, war auch nicht so dramatisch, ich hatte in dieser Zeit links halt öfters blaue Flecken und erzählte bei Nachfragen immer etwas von heldenhaften Heimwerkerprojekten. Schwierig wurde die Sache erst in der Kombination, wenn ich beim Abbiegen gleichzeitig schalten musste – des Zwischengases wegen.

Und wegen der Evolution. Die hat uns alle nur mit zwei Händen und einer begrenzten Multitasking-Fähigkeit ausgestattet Beim Abbiegen mit der linken Hand draußen herumwacheln, mit der rechten Hand schalten und mit – ja, womit nun? – in die Kreuzung einlenken, das ist nicht leicht.

Zunächst erledigte ich das Lenken immer mit dem Knie, aber diese Lösung ist in ihrer Nachhaltigkeit ein wenig zu fragil für komplexe Wiener Verkehrssituationen. Außerdem gibt es dann für das durchschnittliche Studentenhirn zu viel zu koordinieren:

Linke Hand wachelt, rechte Hand schaltet, linker Fuß bremst, rechter Fuß, der eigentlich bremsen sollte, gibt Zwischengas, Knie 1 lenkt, Knie 2 lungert als Backup herum, Beifahrerin fragt, ob du nicht ganz dicht bist, zehn Wiener im Verkehr rundherum hupen, Nikolaus legt sich gefährlich in Schräglage, und das alles gleichzeitig. Seien wir ehrlich – das ist nicht zu machen.

Nach einigen Wochen voller richtig brenzliger Situationen entschloss ich mich jedenfalls, es zu beenden – und beging einen der größten Denkfehler meines Lebens: Ich verschenkte Niklaus an seinen Erbauer zurück, weil ich überzeugt war, mir die diversen Reparaturen nicht leisten zu können.

Hätte ich es versucht und Nikolaus dann in aufopfernder Liebe bis heute durchgefüttert, ich wäre jetzt der glücklichste Mensch auf der Welt. Aber so ging Nikolaus als Ersatzteilspender in zahllosen neuen alten, zusammengeschusterten Enten auf. Ich hoffe sehr, das eine oder andere Nikolaus-Teil (nicht der Blinker, nicht der Vergaser, nicht das Seitenfenster!) lebt auch heute noch in einer der rar gewordenen Enten weiter und kutschiert schaukelnd wie ein schief beladener Hochseedampfer übers Land.

Mehr von meinen Autos folgt aus Gründen der überbordenden Länge, weil ich im Blog hier halt so ein Plappermaul bin, ein anderes Mal. Vielleicht kommenden Samstag. Wir werden sehen. Ich werde Ihnen dann zum Beispiel von einer Überdosis Tom Waits aufgrund einer Alfa-Schrulle ebenso erzählen wie von – ach, warten Sie einfach ab. +++