Die ÖVP hat für ihren Wahlkampf nun das Kapitel Wirtschaftsstandort präsentiert: Bremse bei den Energiepreisen, Senkung der Lohnnebenkosten, Rückfahren der Abgabenquote auf 40 Prozent, Eindämmen der Bürokratie für die Betriebe, Stärkung von Mikrochips und Life Sciences in der Industriepolitik. Lauter vernünftige Vorschläge.
Vor allem, wenn man sich den aktuellen Befund des Standortes ansieht: Laut Agenda Austria wuchs kein einziges EU-Land in den vergangenen fünf Jahren schwächer als Österreich. Tatsächlich sank in diesem Zeitraum die heimische Wirtschaftsleistung pro Kopf sogar um 1,7 %. Die Industrie baut Tausende Arbeitsplätze ab oder verlegt sie ins Ausland. Europa-Spitze sind wir nur mehr im Anstieg der Lohnstückkosten.
Höchste Zeit also, möchte man denken, dass die ÖVP mit diesen grundsoliden Vorschlägen nach der Wahl endlich das Finanz- und das Wirtschaftsministerium besetzt. Doch halt, seit dem 4. Februar 2000 stammt der Finanzminister durchgehend aus der ÖVP, in der Wirtschaft stellt die Volkspartei sogar seit 21. Jänner 1987 ununterbrochen den Minister. Seit mehr als 37 Jahren regiert die ÖVP das Land, mittlerweile mit drei verschiedenen Partnern. Manche der oben genannten Forderungen und Vorhaben präsentierten bereits die Minister Grasser und Bartenstein zu Beginn dieses Jahrhunderts.
Tatsächlich trägt die Volkspartei die politische Hauptverantwortung für den „abgesandelten“ Wirtschaftsstandort (© Christoph Leitl 2013) und nun zeigt sie die Unverfrorenheit, ihre eigenen Versäumnisse in politische Forderungen umzuwandeln. Oder sie besitzt den Zynismus, sich nicht für jede Nationalratswahl eine neue Standortpolitik überlegen zu wollen, und so setzt sie einfach nichts davon um, womit sie das inhaltlich richtige Programm vom letzten Mal gleich wieder präsentieren kann. Auch eine Form von nachhaltiger Politik, wenn man die eigenen Vorschläge 30 Jahre lang recycelt. +++