Wir kennen die Redewendung alle: aus der Zeit gefallen. Gerne verwenden wir sie für Menschen, die ein wenig aus einem vergangenen Jahrhundert zu kommen scheinen, altmodisch sind – um nicht zu sagen: veraltet. Von gestern. Nicht ins Heute passend. Eben: aus der Zeit gefallen.
Aber wussten Sie, dass es wirklich möglich ist, aus der Zeit zu fallen – zumindest theoretisch?
Mehr als die technische Möglichkeit, einen Antrieb zur Verfügung zu haben, der Sie auf eine wirklich sehr, sehr hohe Geschwindigkeit beschleunigt, brauchen Sie dazu nicht. Und das geht so, bitte schnallen Sie sich an, weil – Mindfuck aus der Physik:
Zunächst einmal Spezielle Relativitätstheorie: Sie liefert den Nachweis der Äquivalenz von Materie und Energie – beides ist praktisch dasselbe, nur in unterschiedlichem Zustand. Die Formel dazu ist weltberühmt: Energie (e) ist gleich Masse (m) mal Lichtgeschwindigkeit (c) zum Quadrat, also e=mc2. Das bedeutet auch: Je schneller sich eine Masse bewegt, desto höher ist ihre Energie, die Bewegungsenergie nämlich. Oder anders gesagt: Je mehr Bewegungsenergie eine Masse hat, desto mehr – also desto schwerer – wird sie. Und jetzt Allgemeine Relativitätstheorie: Masse krümmt die Raumzeit. Je schwerer eine Masse, desto stärker die Gravitation, die sie ausübt – und desto stärker die Krümmung der Raumzeit. Das bedeutet: Je schwerer eine Masse ist, desto langsamer vergeht die Zeit, weil die Raumzeit von der Gravitation umso stärker gekrümmt wird.
Also: Je schneller Sie sich bewegen, desto mehr nimmt Ihre Masse zu, desto schwerer werden Sie und desto langsamer vergeht für Sie die Zeit. Die Uhr eines Piloten, der sich im Cockpit eines Flugzeuges mit 1000 km/h bewegt, geht einen minimalen Bruchteil einer Sekunde langsamer als die Uhr eines Piloten, der inzwischen am Boden in der Flughafen-Cafeteria mit einer Stewardess flirtet. Für unser Gehirn ist der Unterschied viel zu klein, um ihn zu bemerken. Aber man kann ihn messen. Man nennt das Zeitdilatation.
Jetzt kommt’s: Hätten wir die technische Möglichkeit, einen Antrieb zu bauen, der zum Beispiel eine Raumkapsel auf fast Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, verginge die Zeit für den Piloten dieser Raumkapsel sehr, sehr, sehr viel langsamer als für uns, die wir währenddessen auf der Erde unserem Alltag nachgehen. Die Reise zur zweieinhalb Milliarden Lichtjahre entfernten Andromeda-Galaxie und zurück könnte dieser Pilot in, sagen wir einmal, rund 50 Jahren (aus seiner Sicht) absolvieren und wäre dann wieder zu Hause auf der Erde. Problem allerdings: Auf der Erde wären inzwischen an die fünf Millionen Jahre vergangen. Der Pilot wäre also aber auch schon sowas von aus der Zeit gefallen. Zumindest aus der Zeit derer, denen er, wieder zurück auf der Erde, begegnet.
Nutzloses Wissen, sagen Sie jetzt? Nun ja, nicht wirklich. Das Verständnis von Raum und Zeit ist die Grundvoraussetzung für die Beantwortung von Fragen wie: Woher kommen wir, wohin gehen wir, was ist der Sinn von allem, und so weiter. Was ist außerdem, wenn wir in 30, 50 oder 100 Jahren vielleicht wirklich Antriebe zur Verfügung haben, die uns auf – nehmen wir einmal an – halbe Lichtgeschwindigkeit beschleunigen können? Dann wären Zeitreisen in die Zukunft tatsächlich möglich. Aber nicht in die Vergangenheit. Niemand könnte also zurückkommen um zu erzählen, was er oder sie in der Zukunft gesehen hat, Pech gehabt.
Einsteins Relativitätstheorien lassen übrigens noch mehr erstaunliche Schlussfolgerungen zu, zum Beispiel diese: Ihr Hintern – ja, genau: IHR Hintern – befindet sich, wie meiner auch, ein klein wenig näher am Erdmittelpunkt als Ihr Kopf, ist also einer geringfügig größeren Schwerkraft ausgesetzt. Wir haben, wenn Sie weiter oben noch einmal nachlesen, gelernt: Gravitation krümmt die Raumzeit – weil die daher umso stärker gekrümmt ist, je näher sich etwas dem Erdmittelpunkt befindet, bedeutet das: Für Ihren Hintern vergeht die Zeit tatsächlich um einen kleinen, kleinen, kleinen Tick langsamer als für Ihr Gehirn. Anders gesagt: Ihr Kopf befindet sich permanent in der Zukunft Ihres Allerwertesten. Das Wörtchen “vorausdenken” bekommt damit eine ganz neue Bedeutung.
Sie sagen jetzt, so ein Blödsinn, das glauben Sie nicht? Rufen Sie doch einfach Ihren Physik-Professor von damals in der Schule an, er wird’s Ihnen bestätigen. Außer, er ist völlig aus der Zeit gefallen. +++
P.S. Nur der Vollständigkeit halber noch einmal nutzloses Wissen (allerdings selbstverständlicher Bestandteil guten Physik-Unterrichts an Gymnasien) – Einstein und der Nobelpreis: Die Feldgleichungen seiner beiden bahnbrechenden Relativitätstheorien waren den Herren im schwedischen Nobelpreiskomitee vor über hundert Jahren zu schräg, also bekam Einstein den Physik-Nobelpreis dafür: nicht. Zum Ausgleich jedoch ein paar Jahre später für seine Abhandlung darüber, dass Energie nicht nur quantisiert abgegeben, sondern auch quantisiert aufgenommen wird und man dadurch mit Lichtteilchen Elektronen aus Metall-Atomen herausschießen kann – die Grundlage für das Funktionieren unserer heutigen Photovoltaik.