Ich mag Herbert Kickl nicht. Seine nahezu permanente Aggressivität, seinen Hohn, seine Neigung, alles und jeden für sich zu vereinnahmen. Die FPÖ-Wähler – auch wenn sie zurzeit die relative Mehrheit bilden – sind nicht „das Volk“. Herbert Kickl spaltet ohnehin lieber als zusammenzuführen, denn dann greifen seine zielgruppenadäquaten Botschaften besser. Und von denen gibt es viele – vom Vertreter der kleinen Leute bis zum Industrieversteher. Überdies achtet er die Wissenschaft nicht, sondern setzt lieber auf Verschwörungstheorien, wenn sie ihm gerade nützlich sind. Auch in der Außen- und Europapolitik steht er mit seinen Aussagen oft in völligem Widerspruch zu dem, was ich selbst für richtig halte.
Das sind alles Eigenschaften, die man sich nicht bei einem Bundeskanzler wünscht. Aber ich halte Herbert Kickl – ganz wertfrei – für einen überdurchschnittlich intelligenten Menschen mit hohen Fähigkeiten in strategischer und taktischer Analyse. Deshalb wird er als Bundeskanzler deutlich anders agieren als in seiner Rolle als Oppositionspolitiker.
Das ist aber nicht der einzige Grund, weshalb ich die Warnungen vor Herbert Kickl für übertrieben halte. Er ist keine „Gefahr für die Demokratie“ und wir steuern nicht auf eine „austrofaschistoide Farce“ zu (beides aus „Der Standard“).
Die „Eleganz der Bundesverfassung“ wird sich abermals bewähren. Der Bundespräsident darf und wird nur Gesetze unterschreiben, die verfassungskonform zustande gekommen sind. Im Zweifel hat er den Verfassungsgerichtshof einzuschalten. Herbert Kickl wird vermutlich die Elemente der direkten Demokratie zu Lasten der repräsentativen stärken, aber er ist keine Gefahr für die Demokratie als solche. Und man kann der ÖVP vieles – auch zurecht – unterstellen, aber sicher nicht, dass sie die Demokratie in Österreich aushöhlen oder auch nur dabei zusehen will.
Überdies braucht man für vieles – sogar bei der Zuständigkeit für die Saatgutaufsicht, für Fiakerfahrten oder auch nur bei Änderungen der Wiener Taxiverordnung – bereits eine Verfassungsmehrheit und von dieser ist die FPÖ noch sehr weit entfernt. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits in der Vergangenheit maßgebliche Reformen von Türkis-Blau wieder aufgehoben und die EU-Gerichte bilden eine weitere Instanz für die Wahrung gewohnter Kriterien des Rechtsstaates.
Und letztlich hilft auch ein Blick nach Italien. Was wurde bei Amtsantritt von Giorgia Meloni alles befürchtet – vom Ausbruch des Neo-Faschismus bis zum Blockieren der Ukraine-Politik auf EU-Ebene. Nichts davon ist eingetreten und man hofft nun sogar, dass sie ihre guten Verbindungen zu Donald Trump zum Wohle der gesamten EU einsetzen wird.
Dass Herbert Kickl voraussichtlich Bundeskanzler werden wird, ist vor allem die Schuld der anderen Parteien (mit teilweiser Ausnahme der Neos). ÖVP und Grüne haben jahrelang das Geld, das nicht vorhanden war, mit vollen Händen ausgeschüttet und die dümmste Inflationsbekämpfung Europas gewählt. Zudem haben alle Parteien der FPÖ in ihrem Nummer-Eins-Thema nichts anderes als Kalendersprüche entgegensetzen können. Faktisch aber steigt die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Migrationspolitik mit jedem Femizid, mit jeder Banden-Messerstecherei und mit jeder Meldung über die Zahl von Schülern, die dem Unterricht wegen Sprachproblemen nicht folgen können. Man darf nun durchaus gespannt sein, wie die FPÖ all dies lösen will. Angstschauer wegen drohenden Ausbruchs des Faschismus in Österreich halte ich jedoch für völlig übertrieben. +++