Vorweg – ich bin inhaltlich für die Renaturierung. Wir brauchen sie für die Erhaltung der Arten und das Argument, die Lebensmittelversorgung sei dadurch gefährdet, ist lächerlich. Dennoch – eine Ministerin hat sich an geltendes Recht zu halten, egal, ob ihr das daraus resultierende politische Handeln gefällt oder nicht. Auch im Falle einer – von Gewessler behaupteten – unklaren Rechtslage ist die Aussage des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt entscheidend und nicht irgendwelche, nicht näher ausgeführten juristischen Privatmeinungen.
Eine Ministerin, die bewusst einen Verfassungs- und Gesetzesbruch zumindest riskiert, ist in einem Rechtsstaat untragbar. Sie wurde auf die Bundesverfassung angelobt und erklärt nun nonchalant, sie habe im EU-Rat „für die Natur“ gestimmt. Leonore Gewessler ist damit verdächtig nahe an Herbert Kickls Satz, wonach das Recht der Politik zu folgen habe und nicht umgekehrt. Ebenso birgt ihre Aussage, sie sei eben ihrem Gewissen gefolgt, eine ungeheure Gefahr. Wo kämen wir hin, wenn jeder nur seinem Gewissen folgen will und nicht dem geltenden Recht? Jeder Extremist könnte daraus die Rechtfertigung für sein Handeln ableiten und sich auch noch auf die Bundesregierung berufen.
Die ÖVP trifft Mitschuld: Offensichtlich ist verabsäumt worden, eine ausreichende interne Klärung durchzuführen. Sollte dies nur am Unwillen von Gewessler gescheitert sein, so wäre die vorab ausgesprochene Drohung, in diesem Fall die Koalition aufzukündigen, die saubere Lösung gewesen. Doch auch der ÖVP geht es in diesem Fall mehr um Parteitaktik und Zielgruppeninteressen als um eine rechtsstaatlich korrekte Lösung. Mit einer Ministerin weiterarbeiten, der man selbst öffentlich Verfassungsbruch vorwirft, ist mehr als nur ein Zeichen von Schwäche, es ist unglaubwürdig. Die Anzeige wegen Amtsmissbrauchs ist nicht der geeignete Weg, mit dem Problem umzugehen.
Beide Regierungsparteien sorgen jedenfalls dafür, dass sich Österreich auf europäischer Ebene wieder einmal lächerlich macht. Ein Bundeskanzler, der den EU-Ratsvorsitz davon informiert, dass das Abstimmungsverhalten der Fachministerin rechtswidrig und ungültig sei, ist blamabel. Und eine Nichtigkeitsklage, die in ein oder zwei Jahren zu einem Urteil beim EuGH führt, und dadurch möglicherweise eine beschlossene EU-Verordnung nachträglich wieder kippt, erzeugt für 27 Mitgliedstaaten veritable Rechtsunsicherheit in einer bedeutsamen Frage.
Diese Koalition ist am Ende und man muss Leonore Gewessler zumindest zugutehalten, dass sie das eindrücklich aufgezeigt hat. Ab jetzt sind auch die Grünen in der Opposition gegen die ÖVP und es regiert nur mehr das Misstrauen. Was Leonore Gewessler noch geschafft hat: Sie hat sich damit wohl die Nachfolge von Werner Kogler als Bundesprecherin der Grünen gesichert und ihrer Partei für einige Zeit den garantierten Platz in der Opposition. Keine Partei wird mehr riskieren, mit einer Ministerin Leonore “Unguided Missile” Gewessler zu regieren. +++