336.000 Menschen in Österreich leben in Armut und damit 15 Prozent mehr als noch vor vier Jahren, so der Bericht des Sozialministers vor wenigen Tagen. Weitere 1,3 Millionen sind in unserem Land armutsgefährdet. Somit fällt etwa ein Fünftel der Bevölkerung in eine der beiden Kategorien. Und das in einem der reichsten Länder der Welt. Besorgniserregend, oder? „Zahlen, die kaum auszuhalten sind“, so ZiB1-Moderator Tobias Pötzelsberger in der Anmoderation des entsprechenden Beitrags.
Kennen Sie jemanden, dem der Besitz eines Autos zu teuer ist? Ja? Dann zählt zu Ihrem Bekanntenkreis jemand, der bereits ein Armutskriterium erfüllt. Wenn man nicht jedes Jahr mindestens einmal auf Urlaub fahren kann, ist bereits das nächste Armutskriterium abgehakt. Unerwartete Neuanschaffungen – etwa einer Gastherme – können Zahlungsprobleme bedeuten? Schon wieder ein Stück in die Armut abgerutscht. Dann noch der Verzicht auf regelmäßige kostenpflichtige Freizeitaktivitäten, auf mindestens einmal pro Monat auswärts essen gehen, auf jeden zweiten Tag Fisch oder Fleisch am Teller, und eventuell ein Problem, die Kredite immer pünktlich zu bezahlen, und man lebt bereits in Armut. Insgesamt gibt es 13 dieser Kriterien, von denen 7 erfüllt sein müssen, um als arm zu gelten.
Ich komme aus einem Mittelstandshaushalt, aber während meiner Studentenzeitzeit hätte ich nach heutigen Kriterien locker die Schwelle zur statistischen Armut erfüllt. Empfunden hätte ich sie nie, denn die Möglichkeit, hin und wieder eine Langspielplatte kaufen zu können, war bereits Luxus für mich. Arm waren Menschen, die sich nicht satt essen konnten oder frieren mussten. „Abgenutzte Kleidung“ trage ich heute noch, das Wegwerfen intakter Kleidung, die eine gewisse Abnutzung zeigt, käme mir fast frivol, jedenfalls verantwortungslos vor. Als relativ wohlhabender Mensch erfülle ich damit ein Armutskriterium.
Noch unverständlicher ist die Definition der Schwelle zur Armutsgefährdung. Das Einkommen darf 60 Prozent des österreichischen Medianeinkommens nicht überschreiten. Der Medianwert ist jener Wert, bei dem gleich viele Menschen darüber und darunter liegen. Im Vorjahr waren das etwas mehr als 50.000 Euro. Mit einem Monatsgehalt von 2.300 Euro wird man also in diesem Jahr noch als armutsgefährdet gelten.
Das besonders Elegante an dieser Definition: Würden auf einen Schlag alle Einkommen im Land verdoppelt, wären noch immer exakt gleich viele Menschen armutsgefährdet. Der Zuzug von 100.000 Wohlhabenden nach Österreich würde eine etwa gleich große Zahl in die Armutsgefährdung treiben, ohne dass sich ihr Einkommen um einen einzigen Euro ändern müsste. Egal, wie reich dieses Land noch werden wird – nach dieser Definition wird die Armutsgefährdung nie verschwinden. Ein wunderbares Beispiel, wie man mit Statistik Politik machen kann. Vielleicht sollte auch das ZiB-Moderatoren zu denken geben. +++