Wenn Ralf Rangnick, derzeit noch Österreichs Fußball-Teamchef, sich nur bloß nicht verpokert. Als neuer Trainer zu Bayern München zu gehen, wäre so ziemlich das Dümmste und Schlechteste, was er in seiner aktuellen Situation tun könnte.
Warum?
Erstens: Bleibt Rangnick österreichischer Teamchef, kann er nur gewinnen. Als Teamchef hat er bisher so exemplarisch gute Arbeit geleistet, dass er selbst bei den stets raunzenden Österreichern hoch angesehen ist. Schlechter kann das in den kommenden beiden Jahren, so lange gilt sein Vertrag, eher nicht mehr werden: Leiden würde Rangnicks Image höchstens, verlöre Österreich in der EM-Todesgruppe mit Frankreich, den Niederlanden und Polen alle drei Spiele. Niederlagen gegen die Franzosen und die Holländer würde Österreich und seinem Teamchef niemand krumm nehmen. Schon ein einziger Sieg gegen die Polen könnte hingegen zum Weiterkommen reichen und von diesen drei Punkten ist auszugehen. Gewinnt Österreich auch gegen einen der beiden überlegenen anderen Gegner oder schafft ein oder zwei Unentschieden – Rangnick käme dem Heldenstatus nahe und könnte entspannt in die kommende Nations League starten, dort bei machbaren Gruppengegnern den Aufstieg schaffen und danach weiter gestärkt in die WM-Qualifikation gehen.
Zweitens: Geht Rangnick zu Bayern München, kann er nur verlieren. Egal, was in den derzeit laufenden Verhandlungen be- und versprochen wird: Rangnick wird bei den selbstherrlichen Bayern und ihren beiden noch selbstherrlicheren de-facto-Chefs Hoeness und Rummenigge sehr schnell anecken. Natürlich werden beide kein Quäntchen ihrer Macht abgeben und Rangnick wird nicht ansatzweise soviel Einfluss haben wie bei Österreichs Team. Da kann er mit Sportvorstand Max Eberl hundertmal gut können und mit Sportdirektor Christoph Freund tausendmal befreundet sein. Wie außerdem die verwöhnten Kicker-Stars zu einem selbstbewussten und in Ansätzen diktatorischen Trainer stehen, hat man schon bei Manchester United gesehen – lang hat es dort nicht gedauert und Superstar Ronaldo hat gegen seinen Trainer Rangnick von weit unter der Gürtellinie geschossen. Bei Bayern wird es nicht anders sein, dort gibt es viele verwöhnte und kaum leidensfähige Superstars. Rangnicks einzige Überlebenschance bei den Bayern wäre der totale Erfolg, da wird er jedoch erstens am Sechsfach-Titel Flicks aus dem Jahr 2020 gemessen und braucht dazu zweitens die Mannschaft.
Prognose: Geht Rangnick zu Bayern, wird er nach einem halben oder längstens einem Jahr auf der Straße stehen, begleitet von einem beschädigten Ruf, viel Hohn und nur mehr fast so guten Chancen auf ein neues spannendes Engagement.
Drittens: Natürlich liegt es nicht am Geld. Zweifellos würde Rangnick nun bei den Bayern ein Vielfaches von dem verdienen, was Österreich ihm zahlen kann. Aber wohlhabend ist Rangnick ohnehin längst und mehr als viel bedeutet nicht die Welt, ist man ein vernünftiger Denker. Die Entscheidung nach finanziellen Gesichtspunkten auszurichten, wäre kurzsichtig. Das ist Rangnick ziemlich sicher nicht. Mit Österreich hat er sich in seiner bisher zweijährigen Amtszeit schon fast so etwas wie Heldenstatus erarbeitet, auch international. Vieles deutet darauf hin, dass die nähere Zukunft mit dem ÖFB-Team rosig aussehen dürfte. Angenommen, die EM läuft gut (Achtel- oder Viertelfinale, vielleicht sogar noch mehr), in der Nations League schafft Rangnick den Wiederaufstieg in die A-Liga, und in der folgenden WM-Quali gelingt ihm mit dem Team die Ausscheidung für die Teilnahme 2026 in den USA und Mexiko. Dann wäre er weltweit einer der gefragtesten Trainer überhaupt und könnte Millionen scheffeln, wo immer er will, falls er das dann überhaupt noch will. Scheitert er hingegen bei den Bayern, siehe oben.
Viertens: Der Heldenstatus. In Österreich wird Rangnick geliebt. Bei den Bayern wird er von den Fans jetzt schon gehasst, auf den Social Media geht es rund. Und von gehasst zu geschasst ist es nur ein kurzer Weg. Von Bayerns Oberboss Uli Hoeness wird Rangnick in Wahrheit vermutlich verachtet, selbst jetzt kann der egozentrische Bayern-Godfather seine Abneigung gegen den Fußball-Professor bei öffentlichen Auftritten nur schwer glaubhaft kaschieren. Rangnick kennt sich einfach zu gut aus, weiß zuviel und kann zuviel, demonstriert das außerdem laufend – und kann daher gar nicht anders, als dem Egomanen Hoeness in die Quere zu kommen. Die Annahme ist simpel: Rangnick wird bei den Bayern vom ersten Tag an aus allen möglichen Richtungen torpediert und demontiert werden. Von seiner augenblicklichen internationalen Unantastbarkeit, die er sich durch die Arbeit mit dem ÖFB-Team erarbeitet hat, wird innerhalb kürzester Zeit wenig bleiben. Nicht einmal in Österreich: Geht Rangnick, wird er hier vertragsbrüchig. Die schönen Worte, die Bekenntnisse zu Österreich der vergangenen Wochen, wären als Scharade entlarvt. Vom Charakterdarsteller und Ehrenmann, als der er bisher hierzulande gilt, bliebe nichts. Er würde bei uns genauso gehasst werden wie jetzt schon in Bayern. Der Held wäre dann ein gefallener. Und gefallene Helden mag niemand.
Schließlich fünftens: Die Lebensqualität. In München würde Rangnick in einem Minenfeld aus Bösartigkeit, Missgunst, Hinterhältigkeit und Dauerbombardement leben und überleben müssen. In Österreich lebt er – im Salzburger Flachgau am Rande des Salzkammerguts noch dazu in einer der schönsten Gegenden des Landes – in einer Atmosphäre aus Respekt, Begeisterung, Achtung und geradezu Anbetung. Die Frage lautet: Ist es klug, als Mitsechziger, der im Leben viel unterwegs war, viel gesehen und viel erreicht hat, aus einem wirklich schönen Umfeld, wo es sich gut leben und erfolgreich arbeiten lässt, auf einen Kriegsschauplatz zu wechseln? Denn nichts anderes ist Bayern München: ein Kriegsschauplatz. “FC Hollywood” ist lediglich die schöngefärbte Umschreibung für permanente Konfliktaustragung. Bei den Bayern kämpfen ständig alle gegen alle, die Raketen und Hacken fliegen tief, kommen so gut wie immer von hinten, die Visiere sind ständig herunter geklappt, die Bösartigkeit ist allgegenwärtig. Vor allem Österreicher stehen in diesem Ambiente weitgehend deckungslos in allen möglichen Schusslinien. Und als Ex-ÖFB-Teamchef würde der Deutsche Rangnick wohl in gewisser Weise bei den Bayern als Österreicher firmieren.
Kurz gesagt: Zu Bayern München zu gehen, wäre das Dümmste, das Schlechteste, was Rangnick derzeit tun könnte. Hoffentlich verpokert er sich in diesen Tagen nicht. Hoffentlich lässt er sich von den Bayern-Machern nicht übertölpeln und überreden. Wir werden es bald wissen. +++