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Werte leben statt Leitkultur-Inszenierungen

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Die ÖVP will nun über eine österreichische Leitkultur diskutieren – wohl nicht zufällig wenige Monate vor der Nationalratswahl. Geht es also um die Frage Grillparzer oder Jelinek? Mozart oder Falco?  Nein, die ersten VP-Werbesujets propagierten „Tradition statt Multikulti“ mit einem Maibaum-Aufstellen in Trachtenuniform oder „Das gehört für uns zur Leit-Kultur“ mit einer Blasmusik-Kapelle.

Ich persönlich komme aus einer oberösterreichischen Kleinstadt, also VP-Kerngebiet, und habe in meinem 64-jährigen Leben dem Maibaum-Aufstellen ebenso oft zugesehen wie einem Kamelrennen. Trachtenanzüge ziehe ich ebenso gerne an wie ich mir Maori-Tattoos unter die Haut stechen lasse und mit Blasmusik kann man mich gleich gut vom Stadtplatz vertreiben wie mit Free Jazz. Also, bitte, liebe Volkspartei, lasst das Volk in Ruhe mit dieser dümmlichen Volkstümelei.

Das, was hinter einer sogenannten „Leitkultur“ steht, sind Grundwerte einer zivilisierten Gesellschaft: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Trennung von Staat und Religion oder Gleichheit in der Gesellschaft unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder sexueller Orientierung. Dies gilt aber in Finnland, Kanada oder Neuseeland ebenso wie in Österreich. Das ist nicht eine spezifisch österreichische Leitkultur, sondern die Basis einer entwickelten Demokratie. Und wie es in einem Rechtsstaat üblich ist, kann man diese Werte in der Verfassung und in den Gesetzen nachlesen – dafür braucht es keine Diskussion im Wahlkampf, denn diese Werte stehen über dem Willen einer einzelnen Partei. Auch gesellschaftliche Werte wie Toleranz und Respekt sollten Teil eines Miteinanders sein, aber hier zeigt uns gerade die heimische Tagespolitik oft ein anderes Bild.

Man muss diese Werte daher nicht neu erfinden, sondern man muss sie leben. Das manifestiert sich beispielsweise im Verhalten eines Bundeskanzlers gegenüber unabhängigen Gerichten. Der Bedarf zeigt sich aber auch in Aussagen von Schuldirektoren wie jüngst aus einer Brennpunkt-Schule in Wien-Floridsdorf. „Ich habe hier Schüler, die sagen: Schwule gehören umgebracht. Punkt.“ Oder „Wer nicht gemobbt werden will, konvertiert zum Islam“, so der Direktor der Franz-Jonas-Europaschule. Welche Partei stellt seit Jahren den Bildungs-, den Innen- und den Finanzminister? Richtig, die ÖVP.

Also wäre es längst Zeit, statt unsäglicher Debatten, ob die Blasmusik zur Leitkultur zählt, den Lehrerinnen und Lehrern jede Unterstützung anzubieten, solchen Tendenzen entgegenzutreten. Und zwar wirklich jede Unterstützung: Von der Entlastung durch Administrativkräfte über viel mehr Schulpsychologen bis zu regelmäßigen Besuchen von Politikern, um zuzuhören und dann selbst im Klassenzimmer für die Werte einer reifen Demokratie wie Österreich einzustehen. Und die Kamerateams können bei diesen Besuchen ruhig in den Redaktionen bleiben. +++