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Schrödinger by the Lake

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Mein lieber Schrödi, hatte der Mitbewohner vor einem halben Monat zu Schrödinger gesagt, es gibt Neues aus Mondsee zu berichten, und Schrödinger hatte die Jungkaterohren gespitzt.

Das Wort “Mondsee” hatte in ihm Erinnerungen wachgerufen, diffus nur, weil Katzen ja mit dem Langzeitgedächtnis ein wenig auf Kriegsfuß stehen, aber ihm war, als schwappte da etwas von einem Segelboot, netten Menschen in einem Segelclub und einer spannenden Aussicht auf Wasser durch seine Ganglien, die ihm so wild verknotet schienen wie ab und zu sein langes Fell um den Schwanz herum. Sofort setzte der Kater sich und begann, die Umgebung seines Hinterteils zu säubern. Der Mitbewohner grinste.

Ein Katzenschutznetz sei auf der Terrasse installiert worden, berichtete er, und Schrödinger würde nun gefahrlos die Aussicht auf den See genießen können, wann immer er wolle. Bislang hatte der Mitbewohner, war er auf der Terrasse gesessen, die Türe stets geschlossen gehalten und Schrödinger in die Wohnung verbannt. Denn der hatte schon als Babykater bewiesen, dass er im zweiten Stock oben den Sprung über das Holzgeländer ins Nirwana der Mondseeluft mit ihrem Mondseeduft jederzeit zu wagen bereit war.

Hilflose Versuche hatte der Mitbewohner unternommen, die Terrasse auf eigene Faust zu sichern, doch die Sache war nicht nur wegen einer Markise verzwickt. Er hatte w.o. gegeben und war mit Schrödinger schon im August ab nach Graz gedampft, hatte den Mondsee Mondsee sein lassen und dem kleinen Kater stattdessen auf dem Grazer Balkon eine Outdoor Chilling Area eingerichtet. In keiner Weise vergleichbar mit der Mondseeterrasse und ihrem unvergleichlichen Blick übers Wasser. Doch nun hatte er eine professionelle Firma beauftragt, drei vorsichtig ungewöhnlich wirkende Kerle waren angereist und hatten in stundenlanger Fistelarbeit die Mondseer Terrasse schrödingersicher gemacht. Der Mitbewohner hatte durchgeschnauft, sich auf den kommenden Sommer gefreut, und Schrödinger nun eben in die Neuerung eingeweiht.

Der Kater nahm es gelassen, denn: Katzenschutznetz? Was in aller Welt sollte das sein.

Schon gut, wann gibt’s Abendessen?, hatte er dem Mitbewohner zurück miaut und ans Nickerchen danach gedacht.

Nun aber, vorgestern, Reise nach Mondsee. Zum Eingewöhnen. Am Dienstag kam man an und Schrödinger war schwerstens verwirrt. Einerseits kam ihm alles hier ein wenig vertraut vor, andererseits war auch alles irgendwie verschwommen und dann doch unbekannt. Die Knoten in seinen Ganglien tanzten Tango. Dann die Terrasse. Schrödinger glaubte, sich an endlose Ständchen des Klagemiauens zu erinnern, weil er in seinem schwachen Katergedächtnis den Mitbewohner draußen sitzen sah, während er drin bleiben musste. Ungute Gefühle regten sich in ihm. Aber jetzt: Der Mitbewohner ließ ihn als allererstes gleich raus und hatte einen erwartungsvollen Blick aufgesetzt als würde gleich Salma Hayek ums Eck tänzeln und mit multipler Becircung beginnen.

Selbstverständlich nahm Schrödinger sofort dieses Netz in Augenschein, das da in voller Breite und Höhe hing, und der Mitbewohner bemühte sich sehr, cool zu bleiben, als Schrödinger zunächst einmal die gut zwei Meter nach oben kletterte und erst beim Überhang nach innen, um die außen montierte Markise herum, anhielt.

Um es kurz zu machen: Beinahe zwei volle Tage dauerte es, bis der Kater die gesamte Anlage, alles in allem an die fünfzehn Quadratmeter Katzenschutznetz samt Stützkonstruktion, penibel auf ihre Durchlässigkeit geprüft hatte. Dem Mitbewohner gab er in dieser Zeit durchgängig zu verstehen, dass er gerne um sein Einverständnis gefragt worden wäre. Durch gnadenloses Negieren. Für den Mitbewohner war das völlig neu und er war schockiert. Seit Schrödinger bei ihm eingezogen war, hatte dieser sich nie vor ihm versteckt, war nie losgetrabt, wollte der Mitbewohner ihn streicheln oder hochheben, kurz: war immer sein bester Freund gewesen. Doch jetzt mobbte Schrödinger den Mitbewohner schlicht und einfach. Nicht einmal fressen wollte er ordentlich.

Dienstag angekommen, Mobbing. Mittwoch Mobbing. In der Nacht auf Donnerstag: Mobbing.

Doch irgendwann zwischen drei Uhr und morgens und neun Uhr am frühen Vormittag des Donnerstages muss Schrödinger wohl den Wert dieser Maßnahme für ihn erkannt haben. Wie ein Blitz hatten sich seine verknoteten Hirnströme vermutlich auf allerlei Quantensprünge  begeben, und dem Kater schoss die Erkenntnis ein: Das Netz half ihm, jetzt freien Zugang auf die Terrasse zu haben, jederzeit als schwerer Schüffeloholiker den Mondseeduft in die rosa Nase zu ziehen, die Frühlingsvögel am Morgen zwitschern zu hören, kurz: die Wohnung in Mondsee voll genießen zu können.

Womöglich hatte die fast zweitägige Missachtung seines Mitbewohners auch damit zu tun, dass aus seltsamen Gründen die Infrarotheizung Schrödingers Rezeptoren überlastete. Denn Katzen können, anders als Menschen, in den Infrarotbereich hinein sehen. Und es hatte eben fast zwei Tage gedauert, bis der Mitbewohner, in Physik weniger geschult als sein Kater mit dem berühmten Physiker-Namen, auf die Idee gekommen war, diesen Zusammenhang zwischen Schrödingers ungewohntem, erratischen Verhalten und eben der Infrarot-Heizung herzustellen. Und bis er diese mitten in der Nacht des noch jungen neuen Tages zu Testzwecken dann einfach abstellte.

Kurz und gut: Aus dem Nichts sprang Schrödinger am Donnerstag um neun Uhr am Morgen auf die Brust des Mitbewohners, der im Bett schlief und fror, kitzelte mit den Schnurrbarthaaren dessen Nase, schnurrte ihm die Melodie von “That´s What Friends are for” von Dionne Warwick entgegen und ließ sich, Katzennase an Mitbewohnernase, minutenlang die Ohren kraulen. Man war wieder Freunde, echte Bros. Der Mitbewohner, frisch erwacht, durchgefroren, war in höchstem Maße erleichtert und murmelte nur glücklich:

Mein lieber, lieber Schrödi.

Über Mittag saßen beide dann auf der Terrasse. Der Mitbewohner kam dem Auftrag nach, als Ghostwriter einen Text für Schrödingers Blog über das neue Katzenschutznetz zu verfassen. Während er tippte, lungerte der Kater auf dem Nachbarsessel und beobachtete interessiert das Treiben unter dem Wohnhaus. Besonders gespannt verfolgte er einige der Manöver, die die Wasserrettung an diesem Tag zu Testzwecken unten am See abwickelte. Alles war, wie es sein sollte und wie er es mochte: Der Mitbewohner auf der Terrasse beim Tippen mit einem Kaffee, er selbst daneben beim Vor sich hin dösen, das sanfte Klappergeräusch der MacBook-Tasten einlullend im Ohr. Man war wieder gemeinsam, in Eintracht, am See. Bro neben Bro.

So soll es sein, tippte der Ghostwriter-Mitbewohner als letzten Satz und stellte den Text online. +++