Wie kann es sein, dass sich die US-Regierung in Sachen Raumfahrt sehenden Auges in die Abhängigkeit zu einem großspurigen Milliardär wie Elon Musk begibt? Wie kann es sein, dass in den Vereinigten Staaten ein Geschäftsmann, bei dem Lügen und Betrügen zum geschäftlichen Alltag zählt (wobei bei zweiterem natürlich die Unschuldsvermutung zu gelten hat, bis eine Verurteilung durch alle Instanzen am Tisch liegt), sogar zum Präsidenten gewählt werden kann?
Wie kann es sein, dass ein anderer Geschäftsmann, der mit einem Ex-Kanzler öffentlichkeitswirksam auf Du und Du war, von den Wirtschaftsredaktionen eines Landes jahrelang abgefeiert wurde, während er einen Kapitalbedarf von 600 Millionen anhäufen, eine große Möbelkette in den Konkurs schicken, in Deutschland ein Riesenbauprojekt stoppen und auch sonst noch so einiges tun konnte, wo mehr als oberflächliches Hinschauen gut gewesen wäre? Wie kann es außerdem sein, dass die laut internationaler Finanzbewertung vergleichsweise minderbemittelte österreichische U-21-Fußballnationallmannschaft die vom Wert her um ein Vielfaches höher eingeschätzten Franzosen soeben alt aussehen lassen konnte?
Antwort: Emotion. Nehmen wir, weil der Anlass so schön ist, noch eine Anleihe beim Fußball: Die deutsche Nationalmannschaft, die heute gegen Österreich im Wiener Happel-Stadion antritt, repräsentiert (in der Aufstellung Trapp – Havertz, Rüdiger, Tah, Henrichs – Kimmich, Gündogan – Brandt, Sané – Musiala, Füllkrug) laut trensfermarkt.at einen Marktwert von 473,5 Millionen Euro. Die Österreicher in der Aufstellung Schlager – Wöber, Alaba, Danso, Posch – Schlager, Seywald – Baumgabertner, Sabitzer, Wimmer – Kalajdzic sind im Vergleich dazu gerade einmal etwas über 200 Millionen wert. Also nicht einmal die Hälfte. Dennoch, aller Voraussicht nach könnte es ein ausgeglichenes Match werden, womöglich ist Österreich sogar leichter Favorit. Bewertungen spielen in der Wirtschaft also nicht unbedingt eine verlässliche Rolle. Sonst hätte der Nachrichtendienst Twitter, der von Elon Musk gerade abgewirtschaftet wird, beim Kauf durch den Milliardär nicht an die 40 Milliarden Dollar wert sein können. Sonst würden Unternehmen völlig ohne ihr Zutun an den internationalen Börsen nicht von einem Tag auf den anderen im Extremfall Milliarden an Wert gewinnen oder verlieren.
Es kommt auf die Emotion an, zumindest bis zu einem gewissen Grad. Eine emotional aufgeladene Marke, Beispiel Red Bull, ist mehr wert als ein Langeweiler. Wenn der Schein schön ist, spielt das Sein nur die zweite Geige. Darum investieren Unternehmen und Konzerne auch so viel Geld in ihr Image – also in den Schein. Um ihr meist unglamouröses Sein ein wenig aufzupeppen. Auch in der Politik ist das so. Ein auf goldbraun geschminkter Kanzler mit putzig abstehenden Ohren oder ein auf Orangebraun getrimmter US-Präsident mit einem Meerschweinchen am Kopf, die große Sprüche klopfen, kommen besser bei den Menschen an als seriöse, ein wenig grau angesprenkelte Macher, die weniger versprechen, das aber dafür halten. Schaumschläger liebt das Wahlvieh mehr als Langeweiler. Grelle Unternehmen, die schnell hoch steigen und dann womöglich noch schneller noch tiefer fallen, kommen kurzzeitig besser an als seriös arbeitende Firmen, die langsam, aber stetig und nachhaltig wachsen. Wir kaufen lieber das knallige, supermoderne, hypergeile Produkt von anonymen Chatbots und Bezahlmaschinen im Internet als das weniger bunte, bloß verlässliche Konkurrenzprodukt beim Greißler ums Eck, den wir schon Jahre kennen. (Falls es den Greißler ums Eck überhaupt noch gibt, aber das ist eine andere Geschichte.)
Weil wir uns von der hoch gejagten Emotion, die gute Bewertungen und Knalliges künstlich induzieren, leiten lassen. Und die echte Emotion des nachhaltig Guten beiseite schieben. Ein Fehler. Denn Qualität und vorgespielte Emotion, das ist nicht unbedingt dasselbe. Umgekehrt ist Langeweile auch nicht zwangsweise Qualität. Der Schein ist in Wahrheit zweitrangig, es kommt auf das Sein an. Hoffen, wir, dass auch heute Abend die Realität der Bewertung ein Schnippchen schlägt, das Sein den Schein besiegt. Dass die emotional super aufgestellte, im Vergleich billige und womöglich ab und zu ein wenig langweilige österreichische Fußballnationalmannschaft das glamouröse, hoch bewertete deutsche Team mit einer Niederlage nach Hause schickt. +++