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Schrödingers Kralle

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Meine lieben Freunde und Freundinnen,

ich diktiere das diesmal meinem Ghostwriter direkt in die Tastatur, weil mir nämlich ein wenig langweilig ist. Stellt euch vor, der Mitbewohner hat einfach die Schrödinger Nordwand abgetragen und jetzt habe ich im Augenblick nichts mehr zum Klettern. Da kann es schon einmal sein, dass die Zeit ein wenig lang wird.

Das muss sein, mein lieber Schrödi, hat er gesagt, du musst deine Kralle schonen, also pausieren wir jetzt mit dem Klettern einmal ein paar Tage.

Die Nordwand liegt nun flach im Schlafzimmer vor dem Bett und immerhin ist es gar nicht so schlecht: Man kann sich jetzt drauflegen, sie ist einigermaßen weich und duftet nach Abenteuer und Höhenluft, ich mag das eigentlich eh. Naja, so irgendwie halt. Ich weiß natürlich, dass der Mitbewohner recht hat, die äußere Kralle meiner rechten Hinterpfote ist ja wirklich einigermaßen in Mitleidenschaft gezogen und Schonung tut gut.

Stark eingerissen, hat die Tierärztin vergangenen Freitag gesagt, da müssen wir wirklich aufpassen.

Zwei Möglichkeiten gebe es, hat sie den Mitbewohner wissen lassen, der bei “wirklich aufpassen” gleich begonnen hat, Panik zu schieben, das liebe Weichei. Variante A sei, die Kralle abzuziehen und sie wieder nachwachsen zu lassen, was allerdings eine kleine Operation notwendig mache, die nur bei Vollnarkose gehe.

Vollnarkose!

Jetzt hab ich Panik gekriegt, ich kann mich ja noch erinnern, wie das vor ein paar Wochen bei der Kastration war, nicht angenehm, kann ich euch miauen. Dieses schwabbelige Gefühl beim Aufwachen, und dann wackelst du dich selbst durch die Gegend und weißt gar nicht, warum alles so um dich herum schwimmt, außerdem fühlt sich alles, naja, irgendwie komisch an. Brauch ich nicht noch einmal, ehrlich nicht. Ich hab gleich den Mitbewohner angeschaut, ordentlich miaut und gehofft, er checkt, was ich sagen will.

Zweite Möglichkeit, hat die Ärztin jetzt gesagt, ist, wir lassen es so wie es ist, desinfizieren die Wunde, und mit ein wenig Glück wächst alles von selbst zusammen.

Problem allerdings: Wenn sich ein Keim einnistet und die Wunde sich entzündet, was durchaus passieren könne, dann sei Gefahr im Verzug, dann müsse auf jeden Fall operiert werden, und zwar rasch. Ein gewisses Risiko, die Chancen würden 50 zu 50 stehen.

Risiko, Mitbewohner! Bitte bitte Risiko!, habe ich sofort miaut.

Der Mitbewohner hat zur Ärztin gesagt:

Auf keinen Fall lasse ich meinen Schrödi narkotisieren, wenn es nicht absolut notwendig ist, wir nehmen das Risiko und ich werde einfach gut auf ihn aufpassen und genau beobachten, wie die Wunde sich verhält.

Ich sag euch, liebe Blogleser und Blogleserinnen, ich habe den Mitbewohner noch nie so geliebt wie in diesem Augenblick! Der Mann ist einfach mein Bro.

Ich meine, ich hab ihn ja sowieso vom ersten Augenblick an gern gehabt, wie er mich aus dem Segelclub nach Hause geführt hat und ich hab vor lauter Angst dauernd miaut, ich war ja noch ganz klein damals und wusste nicht, was da kommt, und er hat beim Autofahren dauernd mit mir geredet, in so einem sanften, säuselnden Tonfall, das war schon sehr beruhigend. Aber letzten Freitag, da bei der Tierärztin, als ob es dieses Beweises überhaupt noch bedurft hätte, da habe ich endgültig gewusst: Bei dem bin ich gut aufgehoben, der ist wirklich mein Freund.

Jedenfalls, die Tierärztin hat dann mit so einem Desinfektionsdingsbums in meine Wunde gesprüht, das hat ganz schön gebrannt und am liebsten hätte ich ihr die Praxis verwüstet, aber der Mitbewohner hat meinen Kopf gekrault und so wie damals im Auto in mein Ohr geflüstert, dass das notwendig und gut für mich ist, und überhaupt. Also hab ich halt still gehalten. Ich muss euch jedoch warnen: Probiert das nicht bei euch zu Hause aus, wenn ihr allein seid, weil wie gesagt: Brennt höllisch. Die Tierärztin hat noch irgendwas von ein paarmal einsprühen palavert, von Wunde im Auge behalten und schauen, ob er daran zu schlecken beginnt und so weiter, und wenn alles anschwillt und gelb wird, ab zum nächsten Tierarzt.

Keine Angst, ich pass auf ihn auf, hat der Bro gesagt.

Zu Hause hat er dann am Abend und noch einmal am Samstag tatsächlich wieder dieses brennende Zeugs über meine Pfote gesprüht, und naja, ich hab ihn halt lassen. Ich hab ja gesehen, der meint es gut. Der Kerl hat offensichtlich wirklich Angst um mich gehabt.

Sepsis, Entzündung, ojojojoi, hat er dauernd gemurmelt.

Nun, machen wir’s kurz: Beim dritten Mal hab ich dann schon miaut, dass es jetzt aber reicht, weil: eh alles voll super am Heilen. Er hat mich auf seinem Bauch liegen lassen, damit ich’s weich und warm habe beim Desinfizieren, aber da war dann trotzdem Schluss mit lustig. Mehr Brennerei als nötig muss auch nicht sein. Ich hab ihn zärtlich in den Wanst gekratzt und bin ab unters Bett. Ich meine, der Mitbewohner hat da eh eine ordentliche Fettschicht an dieser Stelle, da richtet ein kleines Kratzerchen keinen Schaden an. Er war mir auch nicht böse und hat verstanden: Lassen wir das Desinfizieren halt.

Dafür gibt er mir derzeit noch einmal am Tag so entzündungshemmende Tropfen oder sowas in der Art halt. Die sind gar nicht einmal so schlecht, sie machen mich ein wenig schläfrig, und ehrlich jetzt: Man ist ja Katze, da ist Schlafen am Tag nichts Schlechtes. Soll nichts Schlimmeres passieren. Ein kleines zusätzliches Schrödi-Nickerchen hier und da hat noch keinem Kater geschadet …

Klar, gut schmecken dieses Tropfen nicht und ich weiß nicht, ob ich sie freiwillig … Aber jetzt passt auf, Blogleser und Innen. Fast bin ich ja ein bissl stolz darauf, dass ich so einen schlauen Mitbewohner habe – wisst ihr, was der Kerl macht? Er träufelt mir das Zeug auf ein Blatt Schinken.

Hallo? Schinken!

Ich meine, ist ja klar, dass ich das fressen MUSS. Bei Schinken klinkt sich mein Hirn nämlich immer aus und mein Magen übernimmt. Friss den Schinken, friss den Schinken!, sendet er hinauf ins Mutterschiff und das gibt dann meinem Mäulchen den Befehl: Feuer frei!

Gut, aber nun zum Wichtigsten: der Genesungsprozess. Ich glaube, er verläuft gut. Womöglich liegt das auch an den Tropfen, aber ich muss sagen: Weh tut mir gar nix. Ich lasse den Mitbewohner sogar ab und zu da unten an der Pfote ein bissl herumdrücken, weil er schauen will, ob ich zucke, weil mich was schmerzt. Aber alles okay. Kein Wehweh, kein Hinken, kein gar nichts. Ich fetze in unserer Wohnung herum wie üblich. Dann lächelt der Mitbewohner glücklich, das kleine liebe Weichei. Derzeit sieht es also so aus, als hielten sich die Keime, was immer das auch genau ist, fern. Man wird sehen, wie sich die Sache entwickelt. Vier oder fünf Tage, hat die Tierärztin gesagt, wenn bis dann nichts passiert, Entwarnung. Müsste also morgen oder übermorgen soweit sein, dass man final was sagen kann, und wie gesagt: Momentan sieht die Sache gut aus.

Jetzt aber noch: die Tierärztin. Passiert ist das Ganze ja in Mondsee beim Spazierengehen. Ich hab den Mitbewohner übermiaut, dass er mit mir rausgeht, weil die kleine Sommerwohnung ist schon ein bissl eine Tortur für einen Kater, der voll im Saft steht. Dass ich voll im Saft stehe, darüber müssen wir ja nicht diskutieren, oder?

Das Rausgehen war super. Wir sind um unsere beiden Häuser am Hilfberg gezogen, ich sag’s euch, all diese Düfte, diese Gräser, die ganze neue Welt, ich war sofort voll der Forscher. Und dann hat da ein Anrainer, ein richtiger Dumpfgummi, aber darüber breite ich lieber den Mantel des Schweigens, so eine Art Plastik-Warndreieck aufgestellt, weil der Depp zu blöd zum Autofahren ist und nicht aus seiner Garage rauskommt, wenn wer in der Nähe parkt, also steht dieses Ding mit der Aufschrift “Abstand halten” da, ist mit einem Stein an einer Schnur beschwert. Das musste ich natürlich untersuchen. Und ich hab mich wegen irgendwas geschreckt, bin unter dem Dreiecksdachl durch mit vollem Karacho, meine Leine hat sich irgendwo verheddert, ich hab das ganze Zeugs hinter mir her gezogen, das hat einen irren Krawall gemacht. Ich mich gleich noch mehr geschreckt, bin voll durchgestartet und abgegangen wie eine Superschrödi-Rakete. Drei Kreise hab ich in einem Höllentempo um den Mitbewohner gezogen, bis der mich einfangen und beruhigen konnte. (Wieder dieses freundliche Gesäusel in mein Ohr, das bringt mich wirklich immer ganz schnell runter, muss ich sagen). Der Mitbewohner hat die ganze blöde Verhedderei entwirrt, hat mich gestreichelt und das Taferl ins nächste Gebüsch gekickt.

Blöder Depp, damischer, depperter, du, hat er geschnauft und den Anrainer gemeint, der das aufgestellt hat, lern Autofahren, du Trottel, oder zieh woanders hin!

Mein Mitbewohner kann, müsst ihr wissen, wenn ihm was an die Nieren geht, ziemlich drastisch und direkt sein. Und da haben wir dann jedenfalls das Malheur mit der Pfote gesehen, es hat geblutet und der Mitbewohner war gleich ganz bleich, ich musste ihm diesmal umgekehrt ins Ohr schnurren, er soll sich entspannen, so schlimm ist das auch wieder nicht, das wird schon wieder.

Tierärztin, Tierärztin!, hat der Mitbewohner in einer Schnappatmungspause gekeucht und zum Handy gegriffen.

Ich hab das bissl Schmerzen beiseite geschoben, war also voll der tapfere Kater, und hab mich schon gefreut, weil ich meine liebe Tierärztin wiedersehen würde. Die kleine Schnippselei von vor ein paar Wochen hab ich ihr längst verziehen und dass danach irgendwie irgendwas gefehlt hat, ich kann das eigentlich selbst heute noch nicht so genau benennen, ist mir auch egal. Dafür hat sie mir beim Heimtragen dann ja auch so einen superschönen Korb geborgt. Der war kuschelig wie dem Mitbewohner sein dicker Bauch und der Mitbewohner hat mich mit dem Korb damals auf die Terrasse in die Sonne gestellt und bei mir Wache gehalten, bis ich aus der Narkose aufgewacht bin. Ich hab mich da sehr geborgen gefühlt, muss ich sagen. Ihr könnt euch das am Foto aber eh selbst anschauen.

Doch dann Hiobsbotschaft!

Ein Tonband, hat der Mitbewohner entgeistert geflüstert, sie ist krank, wir müssen schnell einen anderen Tierarzt suchen, das wird nicht leicht, ist ja Freitag Nachmittag.

Tierarzt? Bist du noch bei Sinnen?, habe ich sofort miaut.

Ich lasse nur eine Ärztin an mich ran, ich will zarte, einfühlsame Frauenhände an mir herumdoktern lassen, nicht rohe Männerpranken! Also streng dich gefälligst an und such mir eine Tierärztin.

Natürlich hat der Mitbewohner sich an meinen Wunsch gehalten, wie gesagt, er ist ein Weichei, aber ein liebes. So sind wir dann nach Oberhofen zu der anderen Tierärztin gekommen. Immerhin, auch eine Nette, auch am Irrsee, halt am Nord- statt am Südufer, aber das passt schon.

Also wie gesagt, kurz und gut, es sieht insgesamt so aus, als würde alles recht glimpflich verlaufen. Ich halte euch über WhatsApp up to date (wenn ihr in meine WhatsApp-Gruppe wollt, schickt dem Mitbewohner eine Nachricht, der managt das dann: +43|676|4293130).

Jetzt muss ich wieder ein Schläfchen halten, meine verletzte Pfote werde ich mit meinem Schwanz beschützen, der ist so buschig, das ist wie eine Decke. Ich werden den Mitbewohner anweisen, er soll ein Foto machen und dafür sorgen, dass es hier gepostet wird.

Und denkt immer dran: Ich hab euch alle lieb, Euer Schrödi