Jetzt, wo es selbst der UNO-Generalsekretär erkannt hat, kommen wir um die Erkenntnis nicht mehr herum: Die Welt ist irgendwie daneben. Sie gerate aus den Fugen, sagte Antonio Guterres bei der jüngsten UN-Generalversammlung in News York.
Und in der Tat, es ist nicht mehr schwer, zu erkennen: Wir alle beginnen zu spinnen, mehr oder weniger. Die vergangenen 15 Jahre Dauerkrise haben uns, die wir jenen Generationen angehören, die den größeren Teil ihres Lebens in nie gekanntem Wohlstand verbracht haben, zumindest in Europa, Nordamerika und Australien, ganz schön zugesetzt. Wirtschaftskrise, Covid, Kostenexplosionen, Krieg in der Ukraine, Inflation, noch einmal Wirtschaftskrise, Lieferkettenzusammenbruch – das alles hat uns offensichtlich ein bissl aus der Bahn geworfen. Jetzt ticken wir irgendwie nicht mehr richtig. Als ob wir keine anderen Sorgen hätten, beginnen wir, bei harmlosen Dingen auszuzucken oder Aktionen zu setzen, die irgendwie ein wenig, nun ja, gaga sind.
Zum Beispiel die “Letzte Generation”. Das sind die, die sich an allen möglichen Dingen vom Belag auf der Straße bis zum Bilderrahmen im Museum festkleben, weil sie glauben, dass sie damit den Klimawandel aufhalten können: Die haben tatsächlich am 28. September, also vorgestern, eine Presseaussendung zum Verlauf der A12-Blockade in Den Haag verschickt, die am 30. September stattfindet, also heute. Mit Foto von der Räumung plus Bildtext:
Bei der Räumung der Blockaden der A12 kamen häufig Wasserwerfer zum Einsatz.
Das ist schon ein wenig kurios. Um nicht zu sagen: hinüber. Vom erfolgten Einsatz von Wasserwerfern mit Foto zu berichten, der, wenn überhaupt, erst in zwei Tagen stattfinden wird. Aber immerhin, die haben offensichtlich hellseherische Fähigkeiten bei der Letzten Genration. Und Fotos von Ereignissen aus der Zukunft können sie auch machen. Das wird sich bei der Bewältigung des Klimawandels doch irgendwie auch positiv einsetzen lassen, hoffentlich.
Und erst die ÖVP, aber hallo: Die Ex-Türkisen und nun wieder Schwarzen sind drauf gekommen, dass sie mit ihrer Xenophobie-Politik nicht so recht weiter kommen, weil Kickl mit seiner FPÖ das viel besser kann. Also machen sie jetzt statt Angst neuerdings lieber auf Zuversicht und haben ihre halblustige Kampagne “Glaub an Österreich” gestartet. Kurioserweise mit einem Bild, auf dem Kinder russische Rubel in ein Sparschwein werfen. Was will die ÖVP uns damit sagen? Oder ist das einfach nur purer Dilettantismus? Vermutlich Zweiteres, denn auf intellektuell ausufernde Kapazitäten deutet es ebenfalls nicht gerade hin, wenn der ÖVP-Chef und Bundeskanzler vor einer Handykamera sinngemäß davon schwafelt, dass armutsgefährdete Mütter ihre Kinder halt Burger bei McDonalds essen lassen sollen, weil die nur 1,40 Euro pro Stück kosten und sich das, so die implizite Schlussfolgerung, wohl auch die Ärmsten leisten können.
Frei nach Marie Antoinette (die das aber tatsächlich so nie gesagt hat): Sollen sie halt Kuchen essen, wenn ihnen das Brot zu teuer ist. Zum Bundeskanzler eines Staates sollte sich inzwischen schon durchgesprochen haben, dass man als Politiker nie, auch nicht im kleinsten Kreis, privat unterwegs ist und dass alles, was man sagt, seinen Weg zu einem Handymikrophon oder einer Handkamera und damit in die Öffentlichkeit findet. Wie gut kann einer ein Land regieren, der selbst diese einfachen Zusammenhänge noch nicht durchschaut hat? Oder war es Kalkül, weil die Mehrheit der Österreicher und Innen womöglich ebenso denkt? Oder reine Bosheit anderer Parteien?
Natürlich ist es kaum weniger erschreckend, dass einer der beiden Gründer und Chefs des bislang renommierten Sora-Instituts offensichtlich ungefragt ein Strategiepapier für die SPÖ erstellt und darin gar mögliche Namen für eine Schattenregierung aufgeschrieben hat, während man gleichzeitig für den ORF Wahlanalysen durchführte. Wie leichtfertig die formale Unabhängigkeit und untadelige Neutralität bei journalistischer Arbeit über Bord geworfen wird, einfach nur, weil man mit einer politischen Partei ins Geschäft kommen möchte, ist schockierend. Dass man bei Sora darüber hinaus nicht einmal in der Lage ist, den Mailversand dieses Strategiepapiers pannenfrei über die Bühne zu bringen, noch viel schockierender. Was soll man von der Qualität der Wahlanalysen eines Instituts halten, das so ein sensibles Papier irrtümlich an einen falschen Mailverteiler schickt und es so öffentlich werden lässt?
Jedenfalls – ein Wahnsinn, das alles. Und inzwischen praktisch täglich. Aber gar so neu ist Manches dann auch wieder nicht: Wir hatten immerhin schon einmal einen Bundeskanzler (damals von der SPÖ), der konnte den EU-Kommissionschef (Barroso) nicht von einem Rotwein (Barolo) unterscheiden. Zum Vergleich: Gusenbauer hielt sich zwei Jahre im Amt, dann musste er gehen. Nehammer ist jetzt im Amt seit: knapp zwei Jahren … +++