„Glaub´ an Österreich“ teilt uns der Bundeskanzler in vertraulichem „Du“ über die neue ÖVP-Kampagne mit. Er nimmt sich damit Leopold Figl, den ersten und beliebtesten VP-Kanzler der Zweiten Republik, zum Vorbild, der Weihnachten 1945 mit diesen Worten die Bevölkerung zum Durchhalten motivierte.
Damit hören sich die Gemeinsamkeiten bereits auf: Figl bekannte: „Ich kann euch zu Weihnachten nichts geben, kein Stück Brot, keine Kohle zum Heizen“. Nehammer steht heute einem der freigiebigsten Sozialstaaten der Welt vor – „Koste es, was es wolle“ lautet die Devise. Figl war überzeugter Großkoalitionär, dem es, so Bruno Kreisky später, „in der Seele zuwider war“, den VdU – also den Vorgänger der FPÖ, in die Regierung holen zu müssen. Nehammer fand als VP-Generalsekretär während der türkis-blauen Regierung viele freundliche Worte über die FPÖ und seine Partei regiert nun in drei Bundesländern gemeinsam mit den Rechtspopulisten.
Nehammers Vorgänger als Innenminister, Herbert Kickl, sammelt derzeit die Stimmen der Unzufriedenen auf und den Umfragen zufolge scheinen es monatlich mehr zu werden. Dem entgegenzuhalten, es gehe allen in Österreich eigentlich sehr gut, mag im Vergleich zu Österreich 1945 und auch gegenüber den meisten anderen EU-Staaten stimmen, allerdings könnte es an der aktuellen Stimmungslage vorbei gehen. Die höchste Inflationsrate Westeuropas, stark gestiegene Mieten, Probleme einen Kassenarzt zu finden, Pflegenotstand für die ältere Generation und Personalmangel von der Schule bis zum Wirtshaus werden diese Kampagne stark konterkarieren.
Auch wenn Vizekanzler Werner Kogler derzeit auf „Dialogtour“ durch Österreich reist, dabei aufpassen muss, nicht SP-Chef Andreas Babler auf dessen „Comeback-Tour“ zu treffen, und Herbert Kickl sich mit „Gegen die Eliten“ für den Wahlkampf positioniert, Karl Nehammer sollte das letzte Jahr dieser Regierung nicht zum Vorwahlkampf nützen, sondern sich Leopold Figl inhaltlich zum Vorbild nehmen. Figl suchte immer den Konsens, schaffte es aber in den acht Jahren seiner Kanzlerschaft das Land auf völlig neue Beine zu stellen. Im Viertelstundentakt der Termine arbeitete er unermüdlich und beharrlich die Neuaufstellung und den Wiederaufbau Österreichs ab. Zeit und Geld für Kampagnen blieb ihm dabei nicht. An seinen anhaltend hohen Sympathiewerten über die Jahrzehnte zeigte sich eher: Die beste Kampagne sind gute Reformen. +++