Auch die sanfteste Jungkatze der Welt braucht ihre närrischen fünf Minuten. Für Schrödinger ist das eine Selbstverständlichkeit, Allgemeinwissen sozusagen. Für gewöhnlich schnurrt er wie eine volltrunkene Hummel, laut wie ein Traktor, zufrieden wie ein vollgefressener Löwe. Dann wiederum hält er sich auch für einen, aber im Hungerzustand – jedenfalls zerstört er dann, was eben gerade da und in Reichweite ist. Die Übergänge zwischen Schrödingers beiden natürlichen Aggregatzuständen Tiefschlaf und Abrissbirne sind fließend und plötzlich. (So wie Wasser, das man ganz vorsichtig und hundertstelgradweise abkühlt und das sich im vollkommenen Ruhezustand befindet, auch dann nicht friert, wenn seine Temperatur längst weit unter dem Nullpunkt liegt. Doch bei der kleinsten Bewegung vereist es dann in Tausendstelsekundenschnelle.) Schrödinger als Träger des Namens eines großen Physikers kennt sich mit sowas natürlich aus.
Er kann das auch. Still liegen, schnurren wie ein Dieselmotor, den Eindruck der allumfassenden, endgültigen Passivität erwecken. Aber frage nicht. Da vergeht gerade einmal eine Planck-Zeit – für nicht-Physiker: Das ist die denkmöglich kürzeste Zeiteinheit im Universum, nämlich 5 mal 10 hoch minus 44 Sekunden – und Schrödi ist aus dem Nichts on fire. Er befindet sich dann im Crazy Kitten Attacke Modus. Angegriffen wird: alles. Und zwar mit allem was er hat. Und das wird täglich mehr, denn Schrödinger steht gut im Futter und verbessert seine Fähigkeiten stündlich. Bald wird er iranische Kampfdrohnen abfangen können, die in niedriger Höhe vorbei fliegen – die, mit denen die Russen derzeit die Ukraine zudecken. Das ukrainische Militär dürfte demnächst anfragen, ob es ihn als Söldner rekrutieren darf (was sein Mitbewohner natürlich entrüstet ablehnen wird, der Schrödinger an keinen Krieg der Welt und auch sonst unter keinen Umständen mehr verlieren will). Gelsen und unvorsichtige Fliegen haben jedenfalls bereits keine Chance mehr gegen Schrödinger. Tief und langsam fliegende Insekten schaffen es keine zwei Meter in die Wohnung. Schrödi detektiert sie im Schlaf, er muss da irgendwas eingebaut haben, womöglich einen speziellen Mechanismus oder eine Form von CI, also Cat Intelligence.
Nur eine einzige Ausnahme macht Schrödinger, wenn er sich im vollkommenen Angriffsmodus befindet, was zumeist fünf oder zehn Minuten dauert (danach fällt er in Sekundenbruchteilen wieder in einen komaartigen Tiefschlaf): seinen Mitbewohner. Er kratzt ihn so gut wie gar nicht. Wenn Schrödi die Mitbewohnerhand beißt, zum Beispiel beim Wrestling-Training, dann tut er das nur symbolisch, verhalten und liebevoll. Und die Krallen werden zwar ausgefahren, doch ebenfalls verhalten eingesetzt, sie ritzen die Mitbewohnerhaut nicht einmal. Weil: Freundschaft ist Freundschaft. Schrödinger und sein Wohnungsgenosse haben innerhalb weniger Wochen eine Man-Cat-Bromance entwickelt, die einzigartig ist und keinerlei Gewalt zulässt. Da kennt Schrödinger nichts, das geht ihm über alles. Der Mitbewohner zerdrückt dann immer ein Tränchen der Rührung im Augenwinkel ob soviel Sorgfalt seinetwegen und fällt sofort in den Crazy Mitbewohner Füttermodus.
Ein Blättchen Schinken, möglichst ungesalzen natürlich, fällt dann so gut wie immer für Schrödinger ab. +++