Patienten im Wiener AKH mit Matratze am Fußboden untergebracht, monatelange Wartezeiten auf Operationen, immer weniger niedergelassene Ärzte mit Kassenvertrag, 600 Medikamente in den Apotheken nicht verfügbar, das medizinische Personal oft am Zahnfleisch. Viele Spitalsbetten, ja ganze Abteilungen müssen wegen Personalmangel gesperrt werden. Der Spruch vom „besten Gesundheitssystem der Welt“, der Politikern so leicht über die Lippen kommt, hat wirklich ausgedient.
Die Präsidentin des Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes geht in ihrem Befund sogar weiter: Das Gesundheitssystem breche zusammen, selbst in Notfällen sei die Versorgung nicht mehr gesichert und das koste Menschenleben. Oberärzte der Wiener Klinik in Ottakring haben bereits vor einem temporären Ausfall der Notaufnahme gewarnt. Das Gesundheitssystem befindet sich in einer Abwärtsspirale, aus der viele Bedienstete aussteigen wollen, was den Druck auf die Verbleibenden weiter verstärkt.
Was tun also? Der erste Ruf aus dem System lautet immer: Mehr Geld! In einzelnen Fällen mag er berechtigt sein, in Summe gilt er nicht. Im internationalen Vergleich investiert Österreich viel in sein Gesundheitswesen. Die Ausgaben pro Kopf der Bevölkerung sind die vierthöchsten in der EU und sind seit dem Jahr 2000 dreimal schneller gestiegen als die Inflationsrate. Gleichzeitig ist in Österreich die Lebenserwartung aber nur gering höher als im EU-Durchschnitt.
Auch mit mehr als fünf Ärzten pro 1.000 Einwohnern liegen wir beispielsweise vor Deutschland oder der Schweiz mit nur etwas mehr als vier. Dasselbe Bild ergibt sich bei den Spitalsbetten – auch hier liegt Österreich im Spitzenfeld der EU. Wenngleich immer mehr Betten nicht mehr mit Personal besetzt werden können. Es fließt also immer mehr Geld in ein immer schlechter funktionierendes System.
Deshalb muss bei den Strukturen angesetzt werden: „Die Betonwände zwischen den Sektoren“, wie es Karl Lehner, Geschäftsführer der OÖ Gesundheitsholding formuliert, gehören niedergerissen. Bund und Länder, Sozialversicherungen und Ärztekammern – bei vier Playern mit sehr unterschiedlichen Interessen findet man nur sehr schwer zu Lösungen. Das weiß man seit Jahrzehnten, geschehen ist aber kaum etwas. Mit ein paar Einzelmaßnahmen ist kaum mehr etwas zu machen. Es braucht eine Neuorganisation von Grund auf, denn das Gesundheitswesen sollte der letzte Bereich sein, in dem man einen Crash riskiert.
Für den Gesundheitsminister öffnen die aktuellen Finanzausgleichverhandlungen ein Zeitfenster, das er nützen kann, um Entlastung für den Spitalsbereich zu erreichen und mehr in den niedergelassenen Bereich zu verlagern. Minister Rauch sollte der Treiber der Veränderung sein, denn die Länder wollen immer nur eines: Mehr Geld vom Bund, ohne Kompetenzen abzugeben. Und für den Bundeskanzler sollte die Gesundheit der Bevölkerung wichtiger sein als die Frage, ob „Denkverbote“ bezüglich E-Fuels bestehen könnten.
Ziel in den Verhandlungen sollte auch die „Ambulantisierung“ der Kliniken sein. Also ein radikaler Ausbau von ambulanten, tagesklinischen Eingriffen. Die technologische Entwicklung in der Medizin – Stichwort Schlüsselloch-Chirurgie – macht das möglich. Mit dem Ausbau der Ambulantisierung blockiert ein Patient dann kein Bett mehr, es reicht eine Liege für wenige Stunden. Und das Bett wird frei für Patienten, die stationär aufgenommen werden müssen.“
Akut können die Spitalsbetreiber aber auch das tun, was alle Arbeitgeber in der Wirtschaft machen, wenn sie Probleme haben, ausreichend Personal zu finden. Etwas besser zahlen und mit den vorhandenen Mitarbeitern sprechen, wie man die Arbeitsplatzzufriedenheit mit non-monetären Verbesserungen heben kann. Vor allem aber mit jenen zu sprechen, die den Betrieb verlassen und deren Gründe ernst nehmen. Es geht nicht nur ums Geld. Es sind oft organisatorische Maßnahmen, mit denen man den Job attraktiver machen kann: Weniger Bürokratie, mehr Eigenverantwortung beispielsweise. Es muss nicht alles penibel dokumentiert werden, sondern es sollte vielleicht öfter die Zeit für das Patientengespräch geben. Davon profitieren nicht nur die Kranken, sondern auch die Mitarbeiter.
Natürlich hilft auch mehr entgegengebrachte Wertschätzung im Alltag. Von den Vorgesetzten und ebenso von den Patienten. Ein „Danke, was sie alle zusammen in der Pandemie-Zeit“ für uns geleistet haben“, könnte ruhig fixer Bestandteil eines Krankenhaus-Aufenthalts oder -Besuchs sein. Arbeit im Gesundheitsbereich ist eine extrem sinnstiftende Tätigkeit, also sollte es möglich sein, ausreichend Personal zu finden, wenn Arbeitsumfeld, Wertschätzung und Gehalt stimmen. +++