Start Business As Usual Willkommen im kaputten Gesundheitssystem

Willkommen im kaputten Gesundheitssystem

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Aus Großbritannien erreichen uns Schauergeschichten von Patienten, die nicht mehr oder nur mit großer Verzögerung behandelt werden, weil das nationale Gesundheitssystem NHS von den Tory-Regierungen der vergangenen Jahre finanziell ausgeblutet wurde. Triage, so hört man, ist dort längst Alltag – also die Notentscheidung der Ärzte, wer noch behandelt wird und wer nicht, weil die Ressourcen nicht für alle reichen.

In Österreich ist die Situation noch besser – aber nicht mehr viel. Auch unser Gesundheitssystem ist dem Kollaps nahe. Jedes sechste Spitalbett im Grazer Landeskrankenhaus könne derzeit aus Personalmangel nicht besetzt werden, meldet der Betreiber Karges. 600 Spitalbetten seien derzeit in der Steiermark landesweit gesperrt, meldet orf.at. In Wien sogar 800, schreibt der Standard. Monatelang auf einen Facharzttermin warten zu müssen, ist Alltag. Schneller geht es nur, wenn man über eine private Krankenversicherung verfügt. Das ist nicht nur seltsam, sondern eigentlich skandalös. Vor allem, weil der Staat Milliarden in das Gesundheitssystem pumpt – doch dem Anschein nach versickern die in monströsen Verwaltungsapparaten, in den Standesvertretungen, oder in Taschen schwerreicher Ärzte, die es sich richten konnten. Der Gesundheit der Bürgerinnen und Bürgern zugute kommen sie jedenfalls nicht. Die medizinische Versorgung in Österreich ist inzwischen schlicht katastrophal.

Beispiele gefällig? Echte Fälle, die der Redaktion namentlich bekannt sind? Eine Patientin mit Kreuzbandriss muss mehrere Monate auf einen Operationstermin warten. Schneller ginge es nur, MR-Termin in vernünftiger Zeit inklusive, wenn sie privat bezahlt. Eine Allgemeinmedizinerin weist einen Patienten mit diffuser Virusinfektion ab, weil sie das “nicht interessiert”, sie wolle nur mehr Homöopathie machen. Ein Labor verweigert einem Patienten die Behandlung, weil er um 58 Cent zu wenig Bargeld mit dabei hat – nachdem er vorher von der Sekretärin die Auskunft erhielt, mit Kreditkarte bezahlen können, was sich als Falschinformation herausstellte. Ein anderer Allgemeinmediziner schreibt – Mitte April – vorsorglich auf seiner Website, Termine könne er erst wieder ab Juli vergeben, weil: ausgebucht. Oder da gibt es den HNO-Arzt, der eigentlich eine Infektion behandeln sollte, jedoch mit dem Patienten lieber einen Hörtest machen will. Den honoriert die SVS, wo der Patient versichert ist, nämlich besonders großzügig. Als der Patient verweigert sagt der Arzt: “Gut, dann sind wir fertig, gemma gemma” – und verlässt das Ordinationszimmer, der verdutze Patient bleibt allein zurück. Menschen, die sich in Spitälern mit Corona angesteckt haben, weil sie vom überforderten Personal mit Corona-Kranken in ein Zimmer gelegt wurden, gibt es zuhauf. Achselzuckende Ärzte in Kliniken auch. Und so weiter.

Doch um gerecht zu sein – es gibt sie sehr wohl auch noch, die freundlichen, emphatischen, einfühlsamen, engagierten Ärzte und Ärztinnen. Aber sie werden immer weniger, weil das Gesundheitssystem in Österreich Freundlichkeit, Empathie, Einfühlsamkeit und Engagement nicht belohnt, sondern tendenziell eher bestraft. Daher sind Ärzte, die man einfach aufsuchen kann, wenn man krank ist, zum Beispiel in einem Notfall, rar wie Diamanten. Ärzte, die Hausbesuche machen, sind eine exotische Kuriosität. Ärzte, die ihren Beruf noch ernst nehmen, die Patienten wirklich helfen wollen – verdienen wenig Geld und sind selten wie Perlen.

Gleichzeitig fahren ihre Kollegen, denen es in erster Linie um ein gutes Leben für sich selbst geht, für gewöhnlich dicke Autos, bezahlt von prall gefüllten Konten. Ärztekammern haben gigantische Immobilienvermögen angehäuft, manchmal gehören ihnen bereits ganze Straßenzüge. Das sind stereotype Bilder – aber fern der Realität sind sie nicht. Auf den Universitäten werden willige Medizin-Studenten einer stumpfsinnigen Aufnahmeprüfungsprozedur unterworfen – und die Mehrzahl von ihnen dann abgelehnt. Während es landesweit einen dramatischen Ärztemangel gibt. Letzteres auch, weil sich viele Mediziner die miserable Bezahlung in Spitälern und die unmenschlichen Arbeitsbedingungen nicht mehr antun wollen und ins Ausland flüchten.

Die Bundesregierungen der vergangenen Jahrzehnte haben unser Gesundheitssystem an die Wand gefahren. Was es bräuchte: Zunächst einmal viel mehr Geld für die Ausbildung, damit mehr künftige Ärzte Medizin studieren können. Dann eine Zerschlagung der autokratisch agierenden, verstaubten Ärztekammern und eine moderne, liberal denkende und auch so handelnde Standesvertretung. eine, die ihr Augenmerk nicht auf die möglichst pralle Füllung der eigenen Taschen legt, sondern auf das Wohlergehen der Patienten. Selbstverständlich braucht es auch einen kompletten Reset der Gesundheitskassen, die im Laufe der Jahre zu monströsen Verwaltungsapparaten unter politischem Dauereinfluss und zu El Dorados für Funktionäre und  Mitarbeiter mit Ärmelschoner-Mentalität geworden sind. Und natürlich gehört die SVS, die Sozialversicherung der Selbständigen, diese moderne Raubritterorganisation, völlig neu aufgesetzt.

Der gesamte heimische Gesundheitsapparat braucht ein neues Setup – er braucht moderne, professionell agierende Menschen statt lahmer Funktionäre und wohlgenährter Standesvertreter in dicken Autos, die ihre Schäfchen längst ins Trockene gebracht haben. Dann würde weniger Geld versickern, die medizinische Versorgung wäre besser, die Menschen wären gesünder und stünden länger als Arbeitskräfte zur Verfügung – das würde auch der Wirtschaft und dem Pensionssystem gut tun.

Doch dazu bräuchte es eine willige und vor allem eine sachlich kompetente Regierung. Ersteres ist gerade die ÖVP zweifellos nicht. Zweiteres ist wohl der grüne Gesundheitsminister nicht, ein gelernter Sozialarbeiter und Handelsschulabsolvent – jedenfalls weder ein Mediziner noch ein Gesundheitsökonom. Und so werden in Österreich weiter viele Milliarden ins Gesundheitssystem fließen, die nicht der Gesundheit zugute kommen. Von britischen Zuständen werden wir bald wirklich nicht mehr weit entfernt sein. +++