Der politische Vormarsch der FPÖ scheint nach der Niederösterreich-Wahl kaum mehr aufzuhalten zu sein. Jetzt führt Herbert Kickl sogar schon in der direkten Kanzlerwahl-Frage (Quelle: Lazarsfeld). Muss abermals der politische Dreier-Zyklus der FPÖ (Opposition – Regierung – Absturz und Gerichtssaal) eingehalten werden, selbst mit einem wenig massentauglichen FPÖ-Chef? Das lohnt einen näheren – und ausführlicheren – Blick.
Die anderen Parteien wissen nach wie vor nicht, wie sie mit einer stärker werdenden FPÖ umgehen sollen. Strikte Abgrenzung wie bei den Grünen und der SPÖ bei Vranitzky? Leicht abgemildertes Nachahmen wie bei der ÖVP unter Kurz und zuletzt bei Nehammer? In der Regierung „entzaubern“ wie unter Kanzler Schüssel? Keine der drei Methoden hat auf Dauer funktioniert. Auch nicht die dritte: Die FPÖ ist über sich selbst gestolpert, aufgestanden und mit einer schlechten Haider-Kopie wieder nach oben geklettert. Diesmal versucht es der Redenschreiber der beiden selbst, auch wenn er „Charisma“ nur buchstabieren, aber nicht ausstrahlen kann.
Zweifellos findet die FPÖ derzeit ein besonders günstiges Themenumfeld vor. Angst war schon immer der fruchtbare Boden, auf dem ihre einfachen Parolen aufgehen und Früchte bilden konnten. Diesmal begann die Regierung bei der Inflationsbekämpfung selbst den „Wer bietet mehr?“-Wettbewerb, den man gegen eine populistische Opposition – und damit ist auch die SPÖ gemeint – nur verlieren kann. Neue Monatsvorschreibungen des Energieversorgers, Medikamentenmangel in den Apotheken oder lange Wartezeiten bei Operationen oder Pflegebetten, fehlende Arbeitskräfte vom Bildungssystem bis zu den öffentlichen Verkehrsmitteln – die Liste der aktuellen Themen, auf denen Angst gedeihen kann, ist lang. Man glaubt kaum mehr, dass es den Kindern besser gehen wird als einem selbst.
Und dann fuhr die ÖVP zur Ablenkung von den Korruptionsvorwürfen wieder das Ausländerthema hoch. Pro Kopf die meisten Asylanträge in der EU, in Summe mehr als 100.000 vergangenes Jahr. Laut Integrationsfonds sind auch noch 70 Prozent davon Analphabeten, also vermutlich weder die einfachsten Schüler im Integrationskurs noch die benötigte Entlastung am Arbeitsmarkt. Und bei 17% Anteil an der Gesamtbevölkerung stellten Ausländer im Vorjahr 41% der strafrechtlich Verurteilten. Wer davon beunruhigt ist, muss noch lange nicht zu den Ausländerhassern zählen. Der Großteil der hier sensibel reagierenden Menschen schätzt einfach dieses Land, seine Kultur, seine Lebensweise und möchte es – abgesehen von einigen neuen ausländischen Restaurants – weitgehend so behalten. Diese Angst bedient die FPÖ seit nunmehr 35 Jahren professionell.
Nicht ganz so lange, aber mehr als 20 Jahre lang, wird über eine gesteuerte, an Bildung und Bedarf am Arbeitsmarkt orientierte aktive Einwanderungspolitik diskutiert. Geschehen ist sehr wenig, denn die Zahlen der genehmigten Rot-Weiß-Rot-Karten-Anträge sind nach wie vor lachhaft niedrig. Die höchste Quote an Ablehnungen bei Aufenthaltsanträgen gibt es übrigens bei Menschen, die hier ein Unternehmen gründen wollen.
Dafür blüht nach wie vor die illegale Einwanderung. Die Balkanroute erfreut sich weiter hoher Beliebtheit und so entscheiden Schlepper und nicht ein objektives Punktesystem, wer nach Österreich einwandern darf. Aber wer hat seit 2000 nahezu ohne Unterbrechung den Innenminister gestellt? Richtig, die ÖVP. Und die Unterbrechung bildete – neben einem halben Jahr Expertenregierung – ausgerechnet Herbert Kickl.
Zum ausufernden Angst-Biotop in diesem Land kommt aktuell noch die Verärgerung etlicher Menschen. Eine Impfplicht gegen Corona zu beschließen, ist ein gravierender Eingriff in die Selbstbestimmung des Menschen. Er ließe sich noch halbwegs argumentieren, aber lediglich die beschlossene Pflicht nicht zu exekutieren und dafür als einziges Land in Europa einen 2-G-Regel genannten Extra-Lockdown nur für Ungeimpfte als Strafe draufzulegen, heißt einen Teil der Bevölkerung massiv zu verärgern. Das war nichts anderes als politische Hilflosigkeit.
Eine wirksame Strategie gegen die FPÖ kann nur in einer klaren, langfristig konsistenten und ausreichend kommunizierten eigenen Politik liegen. Mit Mut – auch gegen die Landeshauptleute – eigene Reformen durchzuziehen und damit selbst gesteuert Themen zu setzen. Wolfgang Schüssel gelang 2002 dank einer akzentuierten und mutigen Reform-Politik ein Wahlsieg mit 42 Prozent. Auch Hans-Peter Doskozil zieht diese Strategie im Burgenland erfolgreich durch, setzt selbst die Themen von Mindestlohn bis Pflegereform.
Die aktuelle Regierung reagiert aber hauptsächlich und der große Plan, das Land in eine Richtung zu führen, das Narrativ, wie es die Politologen nennen, ist nicht erkennbar. „Gegen die da oben“-Sein reicht für die FPÖ so lange, wie „die da oben“ nicht viel weiterbringen. Dann muss man sich eben tagelang und breitflächig mit einem Verbal-Rülpser eines FP-Landesrates auseinandersetzen und anschließend vor der nächsten Meinungsumfrage zittern. Derzeit regiert eher die personifizierte Wehleidigkeit ob der Ungerechtigkeit, „multiplen Krisen“ und mangelnder Dankbarkeit der Bevölkerung ausgesetzt zu sein.
Was eher helfen könnte, wäre ein konstruktiver und zivilisierter Umgang der restlichen vier Parteien miteinander. Nicht jeder Vorschlag zählt automatisch zu den größten Dummheiten der Menschheitsgeschichte, nur weil er von einer anderen Partei kommt. Damit könnte man sich positiv gegenüber der FPÖ abgrenzen, während man sich derzeit in Tonalität und destruktivem Verhalten weiter der Kickl-Partei annähert. Viele Menschen reagieren darauf mit einem innerlichen „Sind eh alle gleich“. Wenn man so weitermacht, werden aber bei der nächsten Nationalratswahl nicht alle gleich sein. Dann kommt wirklich Kanzler Kickl. +++