Österreichs Unternehmen hinken bei der Vorbereitung auf die künftigen Anforderungen der EU-Taxonomie weit nach, fürchtet PwC-Expertin Agatha Kalandra.
such*stuff: Wenn wir uns Ihr soeben veröffentlichtes ESG-Ranking heimischer Unternehmen ansehen, liegt die Schlussfolgerung nahe, dass etwas getan werden muss. Wie groß ist der Rückstand?
Kalandra: Es gibt dringenden Handlungsbedarf. Wir haben uns bemüht, in unserem Ranking die neuen regulatorischen Rahmenbedingungen möglichst exakt abzubilden, um das deutlich zu zeigen. Wir müssen uns in Österreich dringend auf das Faktum vorbereiten, dass die ESG-Tauglichkeit ab 2028 geprüft und zertifiziert wird.
Wie werden diese Prüfungen oder Ratings ablaufen, und vor allem: Wer wird prüfen?
Darüber wird auf EU-Ebene noch diskutiert, da gibt es noch keine Festlegung. Es ist denkbar, dass ein Modell analog zu den Finanzrating-Agenturen kommt. Aber auch, dass das Wirtschaftsprüfer übernehmen. Auch große Beratungsunternehmen, wie wir eines sind, könnten das machen. Man wird sehen. Fest steht jedenfalls: Ab 2028 sind die Vorgaben der EU-Taxonomie wirklich verbindlich und werden kontrolliert.
Mit welchen Konsequenzen müssen Unternehmen rechnen, wenn sie der EU-Taxonomie nicht entsprechen?
Wer den Anforderungen nicht entspricht, wird Druck von seinen Kunden und Lieferanten spüren, bis zum Sinken der Wettbewerbsfähigkeit. Auch seitens der Investoren wird Druck kommen. Das kann soweit reichen, dass es bei Finanzierungen zu Aufschlägen kommt. Investoren zu finden, wird schwerer. Und es wird wohl sogar zu Pönalezahlungen kommen. Wenn ab 2028 geprüft wird und es dann keinen Stempel oder kein Zertifikat gibt – das wird keiner wollen. Ohne die Einhaltung der ESG-Vorgaben wird es nicht mehr gehen.
“Die Komplexität des Themas ESG ist vielen noch nicht bewusst.”
Wo hapert es in Österreich besonders?
Angekommen ist inzwischen, dass das Thema Klima wesentlich ist. Doch die Komplexität ist vielen noch nicht bewusst. Dabei sind eine Reihe von Fragen zu beantworten: Wie sieht meine Nachhaltigkeitsstrategie aus? Wie kann ich das in die Unternehmensstrategie integrieren? Welche Prozesse muss ich aufsetzen, welche Schwerpunkte setzen? Was ist meinen Stakeholdern wichtig, wie muss ich die Transformation meines Unternehmens ansetzen? Wie entwickle ich mich weiter? Wie messe und dokumentiere ich? Nur das Nötigste zu tun, auf die böse Regulatorik zu schimpfen und einen schönen Bericht zu publizieren, das ist inzwischen zu wenig.
Liegt das Thema in Österreich nach wie vor mehr in den Marketing-Abteilungen oder ist es, wie Sie das ja empfehlen, inzwischen auf Top-Level angekommen?
Den CEOs ist das Thema inzwischen bewusst. Die Mentalität, dass das einfach irgendwo nebenbei mitgemacht werden kann, existiert allerdings immer noch. Da sind etwa Deutschland, Holland oder das UK schon sehr viel weiter. Ich empfehle dringend, entsprechende Strukturen zu schaffen und ins Bewusstsein aufzunehmen, dass es nicht mehr nur um ein paar Kennzahlen geht, sondern um tief greifende, komplexe Prozesse. Alle im Unternehmen müssen auf das Thema ESG eingeschworen werden.
“Man muss sich schon im Klaren sein: Ab jetzt werden Kennzahlen, harte Fakten verlangt.”
Sie nennen die Lücke, die entsteht, wenn großen Worten nicht entsprechende Taten folgen, den “Say-Do-Gap”. Ist das in Österreich ein Thema?
Man muss sich im Klaren sein: Ab jetzt werden Kennzahlen, Datenpunkte, harte Fakten verlangt. Schöne Berichte reichen nicht. Das Governance-Thema etwa sehen wir bei so gut wie allen Unternehmen noch sehr schlecht abgedeckt, auch das Thema Lieferketten. Der Mindset fehlt, dass ESG in wirklich alle Bereiche integriert wird. Das Thema Biodiversität, eines der ganz großen Themen der Zukunft, kommt praktisch überhaupt noch nicht vor. In der Kommunikation nach außen können alle noch sehr viel besser werden. Marketinggetriebene Nachhaltigkeitsberichte genügen nicht mehr. Allerdings, um das zu relativieren: Unser aktuelles ESG-Ranking greift auf Informationen aus dem Jahr 2021 zurück, da ist inzwischen einiges geschehen. 2022 hat sich viel bewegt. Ja, es gibt Aufholbedarf. Aber wir holen auch auf.
Biodiversität ist ein Schlagwort, das in den Medien immer häufiger fällt. Warum ist das bei den Unternehmen noch nicht angekommen?
Es ist in Zusammenhang mit ESG einfach noch nicht im Bewusstsein. Aber wie gesagt, das wird ein enorm wichtiges Thema. Wir sind als PwC gerade dabei, in Österreich dazu ein Competence Center aufzubauen, und arbeiten eng mit unseren niederländischen Kolleginnen und Kollegen zusammen, wo es so etwas bereits gibt.
Sehen Sie bei der ESG-Tauglichkeit österreichischer Unternehmen Unterschiede nach Branchen und Unternehmensgrößen?
Das kann man so sagen. Die Telekombranche etwa liegt vergleichsweise gut. Auch der Pharma- und Health-Sektor, das kommt wohl vom internationalen Background. Sehr verwundert hat mich andererseits, wie groß der Rückstand in der Transport- und Logistikbranche ist. Da gibt es eine Reihe von Unternehmen, die überhaupt keine Datenlage zu ESG haben oder sie nicht transparent machen. Auch im Retail-Bereich sehen wir Aufholbedarf.
Wie schafft man es am besten, die ESG-Regeln, so wie die EU sich das wünscht, wirklich umfassend und über die gesamten Lieferketten zu berücksichtigen?
Das Wichtigste ist, Transparenz zu praktizieren. Die haben viele Unternehmen derzeit schlicht und einfach nicht, sie reporten auch nicht entsprechend. Wir empfehlen, sich da Support zu holen. Wir als Berater wissen sehr gut, wie man die nötigen Daten erhebt. Wir verfügen über die Methodik und können sie den Klienten mitgeben. Uns muss klar sein: Die Lieferketten ESG-konform zu machen, wird die große Thematik der kommenden Jahre.
“Das gemeinsame Verständnis, etwas bewegen und weiterbringen zu wollen, fehlt mir.”
In Deutschland kommt ein Lieferkettengesetz, in Österreich sind wir noch nicht soweit. Wie zufrieden sind Sie mit der heimischen Politik in Sachen EU-Taxonomie?
Das Wichtigste wäre, dass man die Interessenpolitik bei diesem Thema außen vor lässt. Was wir benötigen, ist Einigkeit und Geschwindigkeit. Genau das wünsche ich mir von der Politik. Das gemeinsame Verständnis, etwas bewegen und weiterbringen zu wollen, fehlt mir.
Abschließende Frage: PwC ist ja ebenfalls ein großer internationaler Konzern – wie sieht es bei Ihnen mit ESG aus?
Bei uns arbeiten in Österreich 50 bis 60 Mitarbeiter daran, global ist es eine vierstellige Zahl. Von CEO-Ebene bis nach unten kommunizieren wir seit zwei Jahren ganz klar, dass ESG unser wichtigstes Thema ist, dass es auf jeder CEO-Agenda in jedem Land steht. Alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben sich zu “Net Zero” verpflichtet – also dazu, soviel Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu entfernen, wie wir produzieren. Und dass wir dieses Ziel bis 2030 erreichen werden. +++
Das Interview wurde ursprünglich im Auftrag des Wirtschaftsmagazins “trend” geführt und ist in etwas längerer Form zusammen mit einer ausführlichen Geschichte über ESG und die EU-Taxonomie am 22. Dezember 2022 auch im trend erschienen.