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Aufs Meer schauen

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Sie wissen das vielleicht nicht, aber ich bin der weltbeste Aufsmeerschauer. Ein echtes Naturtalent. Niemand kann das so wie ich. Glücklich jedes Meer, das irgendwann einmal von mir beschaut wird.

Die Welt ist ja voller Menschen, die gerne über Wasser blicken, in welcher Form auch immer, aber im Vergleich zu mir sind sie alle bemühte Amateure. Denn ich betreibe die Sache mit einer Hingabe, die nur jemand an den Tag legen kann, der aus einem Binnenland stammt.

In Graz, wo ich aufgewachsen bin, gibt es die Mur, die ist ein Fliegenschiss von einem Gewässer. Dazu den Thalersee und den Hilmteich, beides Pfützen und auch das nur, wenn sie sich anstrengen. Mehr Wasser ist da nicht, schon gar nicht Meerwasser. Also wächst in einem Grazer Kind der 1960er und 1970er-Jahre, das mit viel Glück der elterlichen Peter-Alexander-Humptatatrallala-Ideologie des sinnlosen Trällerns von Belanglosigkeiten entwischt ist, dem aber zumindest ein wenig Südländisches im Blut liegt, weil irgendwann italienische Vorfahren im Spiel waren, automatisch die Sehnsucht nach dem ganz Großen, dem ganz Weiten. Man ist dann einfach tief in den Genen ein bissl touched bei the rivers and kissed by the sea, vor allem kissed by the sea. Als ich zum ersten Mal das Meer sah – meine Eltern transportierten mich als Dreijährigen an den Hausmeisterstrand von Lignano – wusste ich: Das hier ist zwar noch gar nichts, aber immerhin ist es das Meer. Und das Meer ist alles.

Von da an ging das nie mehr weg. Ich schaue aufs Meer, wann immer und wo immer ich kann. Mit einer Professionalität, möchte ich anmerken, die nur wenige draufhaben. Ich halte das stundenlang durch. Wenn es sein darf, auch tagelang.

Zum Beispiel die letzte Woche eines der vergangenen Jahre. Ich saß an der Schlossmauer des kleinen weißen Castello von Miramare und starrte aufs Meer. Ich bevölkerte die Kaimauer des Minihafens von Duino ein paar Kilometer weiter und bestaunte einen unglaublichen Sonnenuntergang über Meerwasser. Ich blinzelte beim Aufwachen aus dem Fenster vor meinem Hotelbett und sah direkt auf das Glitzern hinaus, das die Vormittagssonne über den Golf von Triest legte. Ich fuhr hinüber nach Grado und sah aufs Meer. Ich spazierte vom Hotel Riviera wieder hinüber nach Miramare, setzte mich wieder  an die Mauer und starrte wieder und weiter aufs Meer. Am Weg dorthin machte ich in Grignano, ein Minihafen auch dieses, Halt, um mich hinzusetzen – und aufs Meer zu starren. In fünf Tagen Triest kam ich auf gut 36 Stunden gefühltes Aufsmeerschauen, schätze ich.

Sie fragen sich jetzt als ordentlicher Mitteleuropäer natürlich: Was nützt´s? Ist ja eh klass, aber Meer ist Meer, und genug ist genug. Man muss sich ja auch um seriöse Dinge kümmern, die was bringen. Aufsmeerschauen? Dieses ganze schöngeistige Zeugs schafft schließlich kein Bares heran.

Jetzt aber: Seien Sie nicht so ernsthaft.

Schieben Sie ihre vernunftdominierte Alltagsbewältigung einmal zur Seite und tun Sie mehr und öfter Dinge, die nichts Finanzielles bringen und deren Nutzen sich womöglich erst verzögert und verklausuliert in Ihren Alltag schleicht – so, dass Sie ihn vielleicht gar nicht direkt bemerken. Tun Sie was Buntes. Schauen Sie zum Beispiel mehr aufs Meer. Das weitet die Seele. Das bringt Luft in die Lungen und Licht ins Gehirn. Ihnen wird dann später mehr einfallen, als wenn Sie nicht aufs Meer geschaut hätten. Das können Sie wiederum in akzellerierenden Erfolg in Job, Business und allem Möglichen transferieren. Wenn Sie wollen. Sie können das Plus an positiver Emotion aber auch einfach für Ihr persönliches Seelenheil verwenden – wie ich das tun würde. Wer vor Ideen sprüht, weil er viel aufs Meer geschaut hat, dem geht´s im Leben jedenfalls insgesamt besser, glauben Sie mir das einfach.


 

Wie auch immer. Lassen Sie mich Ihnen jedenfalls in diesen ersten Tagen des neuen Jahres einen guten Vorsatz verklickern, der Ihnen mit Sicherheit die Seele zuflauschen wird, wenn Sie ihn beherzigen:

Schauen Sie heuer mehr aufs Meer!