Jetzt ist es also tatsächlich passiert – die ÖVP hat ihr langjähriges Mitglied, den früheren Kurz-Vertrauten Thomas Schmid, ausgeschlossen. Der Ethik-Rat hat es nach einer gerade einmal einjährigen Schrecksekunde doch noch empfohlen. Das ging also ruckzuck. Ratzfatz, sozusagen. Immerhin sind die Schmid-Chats den ehemaligen Türkisen und inzwischen wieder Schwarzen ja erst seit Oktober 2021 bekannt. So geht Tempo. Aber lassen wir das.
Selbstverständlich sind das Ethikrat-Urteil und der Schmid-Ausschluss in Wahrheit nicht mehr als eine Schmierenkomödie – durchsichtig, verlogen und scheinheilig.
Die Entscheidung des Ethiklrates, dieses seltsame Gremiums, ist kurios. Denn: Sebastian Kurz ließen die selbsternannten Ethikwächter, Erfindung des ebenso glück- wie hilflosen früheren schwarzen Parteichefs Michael Spindelegger, ungeschoren. Auf Kurz geht der Ethikrat gar nicht ein. Man wolle den strafrechtlichen Untersuchungen nicht vorgreifen, heißt es sinngemäß, außerdem gelte die Unschuldsvermutung. Unschuldsvermutung? Aus den Chats geht klar hervor dass der frühere VP-Jungspund den insgesamt durchaus hinterfragenswerten Plan verfolgte, seinen Vorgänger aus dem Amt des Parteichefs, sagen wir einmal: zu hieven. Man könnte auch formulieren: zu mobben. Als zentralen Bestandteil des Götz-Zitates hat Kurz in den nunmehr öffentlichen Chats Reinhold Mitterlehner darüber hinaus sogar bezeichnet. Es kann überhaupt keinen Zweifel geben, dass das, selbst wenn man niedrigste Standards anlegt, in der Politik eines zivilisierten Landes zutiefst unethisch ist. Und genau das hat der Ethikrat zu beurteilen – was ethisch ist, und was nicht. Das Strafrecht spielt überhaupt keine Rolle.
Auf der Ethikrat-Website heißt es, er treffe “nach Abschluss des Verfahrens eine Feststellung, dass der Verhaltenskodex eingehalten oder verletzt wurde (…).” Das bedeutet im Umkehrschluss: Der Ethikrat sieht im Verhalten von Kurz, in dessen deftiger Wortwahl, keinen Verstoß gegen einen ÖVP-Verhaltenskodex. Das lässt tief blicken, was die ÖVP im Umgang miteinander für normal hält.
Das Gremium unter der Führung der offensichtlich überforderten Ex-VP-Landeshauptfrau Waltraud Klasnic lässt Sebastian Kurz also außen vor. Schmid hingegen muss aus der Partei entfernt werden. Bei ihm spielen die laufenden Ermittlungen, die auch in seinem Fall noch nicht abgeschlossen sind und auf deren Ergebnisse man bei Kurz warten will, plötzlich keine Rolle. Der Ethikrat erklärt das mit dem Geständnis von Schmid, das Warten auf ein Urteil nicht mehr notwendig mache. Das ist pikant – denn ganz offensichtlich glaubt der Ethikrat Schmid also. Wenn man dessen Geständnis jedoch Glauben schenkt, dann muss man auch glauben, das die Beschuldigungen gegen Kurz und Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka stimmen – und selbstverständlich, schlag nach im ÖVP-Verhaltenskodex, den sofortigen Parteiausschluss Beider empfehlen.
Was bleibt, ist die Selbstdemaskierung des Ethikrates der ÖVP – als bigotte, sinnlose Institution unter untauglicher Führung, die allenfalls dem Zweck dient, möglicherweise korrupte, jedenfalls indiskutable schwarze Parteipolitik zu verharmlosen oder gar zu rechtfertigen. Noch anschaulicher könnte die ÖVP mit ihren Vorfeld- und Umfeldorganisationen den Prozess ihrer fortschreitenden Selbstzerstörung nicht illustrieren. Und natürlich gilt für alle Beteiligten, für Personen wie auch für Institutionen, die Unschuldsvermutung. +++
Die Doppelmoral des ÖVP-Ethikrates, der in zehn Jahren seines Bestehens vor allem vor sich hingeschwiegen hat, erkennt man am besten am Beispiel von J. H. Ein Ex-Landtagsabgeordneter und Ex-Bürgermeister, der inzwischen rechtskräftig für dreifache Vergewaltigung, zweifachen sexuellen Missbrauch und Verleumdung seiner Amtsleiterin verurteilt ist. Dem Ethikrat war der Fall bisher nicht einmal eine Behandlung wert. Wie auch der Chat von Schmid und Sebastian Kurz, in dem immerhin der Vorgänger als Parteichef, Reinhold Mitterlehner, als “linksdilettant und riesen oasch” bezeichnet wurde, für den Ethikrat bisher kein Thema war.