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Wohnen am Wasser: Die Idee vom See

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Sabine Herlitschka, CEO von infineon in Villach, lebt direkt am Ossicher See und liebt es.

Immer mehr Menschen entdecken die Anziehungskraft, die Österreichs Seen als ideale Wohn- und Arbeitsorte ausüben. Leben, wohnen und arbeiten am See wird so richtig modern. Die Immobilienpreise steigen ins Astronomische.

Mondseemensch: Ex-Skispringer Andreas Goldberger wohnt fast direkt am See. “Unvergleichlich”, sagt er.

Die Journalisten Otmar Lahodynsky (Traunsee) und Martin Kwauka (Wolfgangsee), auch den früheren Skispringer Andreas Goldberger (Mondsee) und infineon-Vorständschefin Sabine Herlitschka (Ossiacher See), verbindet eine gemeinsame Leidenschaft mit dem slowakischen Tischler Ondrej Bartos (Attersee), der sich bei seiner Übersiedlung nach Österreich das Salzkammergut als Standort für seine Firma aussuchte, die für Ikea-Kunden Küchen aufbaut. Oder auch mit dem Salzburger Immobilienentwickler Hans Myslik (Mattsee), der in seinen vor zwei erschienenen Memoiren von der Liebe zum Wasser erzählt. Sie alle wohnen und arbeiten zumindest teilweise an einem See. Man kann das durchaus einen Trend nennen: Seen sind nicht mehr nur als Ferienwohnsitz attraktiv, sondern erfreuen sich auch als Arbeitsstandorte wachsender Beliebtheit. Viele Menschen schauen lieber über Wasser statt auf städtische Hauswände.

“Ausblick auf Wasser beruhigt”, weiß Wohnpsychologe Deinsberger-Deinsweger.

Für den Wohnpsychologen Harald Deinsberger-Deinsweger ist das nachvollziehbar. Quer durch alle Kulturen sorgen schöne Aussichten auf Natur und Wasser für Entspannung, sagt er. Zahlreiche internationale Studien bestätigen das: Wasser hat positive Auswirkungen auf Stimmung, Motivation und Gesundheit.

Sabine Herlitschka, CEO des Technologieunternehmens Infineon in Villach, hat ihre Wohnung ganz gezielt nicht in der Stadt gesucht, sondern am Ossiacher See. “Am frühen Morgen vor der Arbeit eine Runde zu schwimmen ist unvergleichlich”, schwärmt Herlitschka. Der Kärntner Ex-Landeshauptmann und nunmehrige Unternehmensberater Christof Zernatto, der sein Haus ebenfalls am Ossiacher See hat, sieht es ähnlich: Den eigenen Steg, wenige Meter vom Homeoffice-Schreibtisch entfernt, und davor ein Segelboot im Wasser bezeichnet er als einen beinahe schon pittoresken Arbeitsplatz.

“In der Früh noch vor dem Büro Schwimmen gehen, das hat was”, sagt infineon-Chefin Herlitschka.

“Diese Idee vom See, meint auch Silvia Fluch, “die hat einfach was.” Fluch war Senior Project Manager beim portugiesischen Algenproduzenten A4Future, in dessen Auftrag sie früher dem niederösterreichischen Start-up ecoduna durch schwere Zeiten helfen sollte. Als sie vor Jahren bei ecoduna noch im Vorstand saß, zog sie von Tulln nach Weiden am Neusiedler See. “Diesen hohen Freizeitwert wie an einem See gibt es sonst nirgendwo”, sagt sie. Für Lebenspartner Günter Spindler gilt das ebenfalls: Vor Jahren ist der Ex-Arzt aus dem Weinviertel nach Weiden übersiedelt und sattelte auf Edelbrände um. Am Neusiedler See produziert er nun Schnäpse und Gin. Woanders zu leben als in Weiden, das will das Paar sich gar nicht vorstellen – auch jetzt nicht, wo der Neusiedler See mit seinen hinlänglich bekannten Wasserstands-Problemen zu kämpfen hat.

Der Wiener Unternehmensberater Höffinger unterhält eine Wohnung am Attersee – und untersucht die Wirtschaftskraft heimischer Seen wissenschaftlich.

 Unterschätzte Seen 

Aktuell boomen Österreichs Seen dank der durch Corona eingeschränkten Reisefreiheit touristisch. Zugleich sind Manager und Unternehmer auf den Geschmack gekommen. Denn Homeoffice geht von überall. Trotzdem werden Seengebiete als Standorte nach wie vor unterschätzt. Anrainergemeinden würden da viel verschenken, konstatiert Unternehmensberater Stefan Höffinger, der jüngst eine Studie zum Thema “Wirtschaftsfaktor See” veröffentlichte. “Es fehlt lokalen Politikern oft an Weitblick und Struktur”, glaubt Höffinger. Zu sehr konzentriere man sich auf den Tourismus. Dabei könnten andere Branchen mehr Steuern in die Gemeindekassen spülen als die Tourismusabgabe. Ein Beispiel dafür ist der Mondsee in Oberösterreich. Dort hat sich etwa der zum Global Player aufgestiegene Wasseraufbereiter BWT angesiedelt und Arbeitsplätze gebracht. Ähnliches gilt für den Fuschlsee und die dortige Red-Bull-Zentrale.

Der langsam einsetzende Trend zum See lässt sich jedenfalls an der Arbeitsplatzstatistik schon ablesen: In den vergangenen zehn Jahren lag der Zuwachs an neuen Jobs in vielen Fällen über dem Österreich-Schnitt. Nur die Kärntner Seen hinken nach.

Medizintechniker Sistov zog der Lebensqualität wegen extra von Wien an den Mondsee.

 Von Wien ans Wasser 

Anderes Beispiel: Der Medizintechniker Matej Sistov hatte Wien als Lebensmittelpunkt satt und fand am Mondsee eine Wohnung mit Traumblick. Von dort startete er seine Arbeitsbesuche in Krankenhäusern oder erledigt Conference Calls mit Blick auf Segelboote und Schwäne. Mittlerweile ist Sistov zu einem neuen Job in die Schweiz weiter gezogen, seine Wohnung am Mondsee hat er jedoch behalten. Und auch Studienautor Höffinger ließ sich von seiner eigenen Untersuchung inspirieren -und werkt im Sommer oft auf der Terrasse seiner Wohnung in Unterach am Attersee. +++


 Wirtschaftsmotor See 

Österreichs Seen als Wirtschaftsstandorte boomen. Immer mehr Menschen ziehen ans Wasser, finden dort Arbeit und spülen Einnahmen in die Gemeindekassen.

Unternehmensberater Stefan Höffinger vom Consultingunternehmen “höffinger.solutions” weiß, dass die österreichischen Seen als Wirtschaftsstandorte wichtiger werden. Seine Studie „Wirtschaftsfaktor See“ aus dem Jahr 2020 zeigt einen echten Trend auf: Die heimischen Gewässer haben das Potenzial, zum attraktiven Lebensraum für das 21. Jahrhhundert zu werden. Denn immer mehr Menschen zieht es ans Wasser. In den vergangenen zehn Jahren lag zum Beispiel der Zuwachs an neuen Jobs in See-Anrainergemeinden in vielen Fä̈llen klar über dem Österreich-Schnitt. Das Salzkammergut schneidet dabei besonders gut ab, allen Selzburger Gewässern voran der Mondsee: Zwischen 2010 und 2017 nahm dort die Zahl der Erwerbstätigen um 13,2 Prozent zu, während es laut Höffinger-Studie österreichweit lediglich 7,5 Prozent waren. Gut vorne mit dabei mit einem Jobwachstum von 11,4 Prozent auch der kleine Fuschlsee. Überhaupt gewinnt der Westen gegen den Osten und den Süden, auch an den österreichischen Bodenseeufern stieg die Erwerbstätigenquote um 11,7 Prozent. Attersee und Traunsee liegen mit einem Jobwachstum von über 8 Prozent deutlich über dem Österreich-Schnitt. Lediglich die Kärntner Seen hinken derzeit noch ein wenig nach. Am Millstätter See etwa wuchs die Erwerbstätigenquote im Untersuchungszeitraum nur um 0,5 Prozent, am Weissensee um 0,7 Prozent (Wörther See: 6,6 Prozent).

 Tourismus nur bedingt Jobmotor 

Der Mondsee ist einer der wirtschaftsstärksten heimsichen Seen.

Was besonders überrascht: Die Zuwächse an und um die Seen gehen nur sehr bedingt auf den Tourismus zurück, die meisten Jobs kommen aus ganz anderen Wirtschaftsbereichen. Um den “Jobmotor Mondsee” (Höffinger-Studie) arbeiten etwa lediglich sechs Prozent der Erwerbstätigen im Tourismus, während es im Handel 20 Prozent, in der Herstellung von Waren 17 Prozent und in der Bauwirtschaft immerhin noch acht Prozent sind. An den meisten österreichischen See ist insgesamt jedenfalls der produzierende Sektor bedeutender als der Tourismus. Der Wolfgangsee ist Österreichs einziger maßgeblicher See, um dem der Tourismus als wichtigster Wirtschaftszweig gilt, 12,5 Prozent aller Jobs entfallen dort auf diesen Bereich.

Dementsprechend können sich die See-Anrainergemeinden auch über vergleichsweise hohe Kommunalsteuer-Einnahmen abseits des Tourismus freuen, was ihnen zweifellos geholfen hat, einigermaßen unbeschädigt durch die vergangenen beiden, fremdenverkehrsärmeren Corona-Sommer zu kommen. Allen voran der Fuschlsee, in dessen Hauptgemeinde Fuschl die Kommunalsteuereinnahmen aus Unternehmen bei fast 35 Prozent liegen, wohl auch dank des Arbeitgebers Red Bull, der dort sein Headquarter unterhält. 1.784 Euro pro Koppf nahm die Gemeinde Fuschl im Jahr 2018 jedenfalls an Kommunalsteuern ein, was rund 60 Prozent des gesamten Steueraufkommens pro Kopf in der Gemeinde entspricht. Zum Vergleich: In Mondsee betrugen die Kommunalsteuer-Einnahmen pro Kopf 2018 exakt 707 Euro, im Vorarlberger Wolfurth waren es immerhin 938 Euro. Weil die lohnsummenabhängige Kommunalsteuer Gemeinden ganz allgemein sehr bei ihrer finanziellen Gebarung hilft, bedeutet der Zuzug von Unternehmen und damit Arbeitssuchenden in See-Gemeinden einen nicht zu unterschätzenden tendenziellen Aufschwung.

 Allumfassende Lebensqualität 

Studienautor Höffinger sieht in seiner Studie auch das Bedürfnis nach “allumfasssender Lebensqualität” sowie die “Suche nach Erholung, Ruhe und Entspannung” als Faktoren, die Menschen an den Wohnort See ziehen. Und weil sie dort in zunehmendem Maß auch Arbeitsmöglichkeiten vorfinden, gewinnen die Seen eben als Wirtschaftsstandorte so stark an Bedeutung.

Kein Wunder, dass die Immobilienpreise steigen. Immobilien am Wasser sind inzwischen selten wie Diamanten – und genauso teuer. Es gibt kaum mehr Möglichkeiten, sich hierzulande an einem der See noch eine Wohnmöglichkeit zu kaufen, auch nicht in der zweiten oder dritten Reihe. Gleichzeitig drängt es immer mehr Menschen zum Wohnen an Ufern von Seen oder Flüssen. Wer zu den Glücklichen zählt, die sich in den vergangenen Jahrzehnten eine Bleibe in der Nähe eines Gewässers zulegen konnten, hat einen Goldgriff getan. Denn während die Immbilienpreise ohnehin seit Jahren dramatisch steigen, gehen die Beträge, die man für die wenigen Projekte an einem Fluss oder See hinblättern muss, regelrecht durch die Decke. Häuser oder Wohnungen am Wasser sind echte Geldspeicher geworden.

In einigen Gegenden, zum Beispiel in Wien und seinem Umland, sind die Immobilienpreise laut einer Marktstudie des Immo-Vermarkters Engel & Völkers seit 2016 um mehr als 50 Prozent gestiegen. Die Preissteigerungen bei Grundstücken am Wasser sind überhaupt astronomisch. Quadratmeterpreise von 15.000 Euro und mehr für Apartments, die direkt am Wasser liegen, sind inzwischen der Normalfall. 10.000 Euro pro Quadratmeter gehen schon als echtes Schnäppchen durch. Und ein Ende dieses Trends ist nicht abzusehen. +++