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Franz Gsellmann: Der Maschinist der Weltmaschine

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Franz Gsellmann, der Enkel des Erbauers, imitierte dessen Reise nach Brüssel, um zu den gedanklichen Wurzeln der Weltmaschine im Kopf seines Großvaters zu gelangen.

In einer entrückten Ecke Österreichs hegt und pflegt ein Mann eine seltsame Apparatur, Erbe des Großvaters.

Wo Franz Gsellman lebt, endet die Welt. In den Falten sanft rollender Hügel der Oststeiermark liegt der Ort Kaag: wenige Häusergrüppchen, der Hof der Gsellmanns. Sonst ist in Kaag nur das Nichts zu Hause. Für eine so einsame Gegend hat der rund 50jährige Landwirt und Schmied eine ungewöhnliche Berufung: Franz Gsellmann ist Weltmaschinist.

Er befeuert eine Apparatur mit Leben, pflegt und hätschelt sie, die ohne ihn nicht mehr existieren würde. Sie heißt „Weltmaschine“ und ist noch da, weil er sein ganzes Engagement in den schrulligen Block investiert, in den vom Staubsaugermotor über die Porzellan-Madonna bis zum Spielzeugraumschiff ein kurioses Universum an Dingen zu einem Gesamtkunstwerk verbaut ist. Ohne Gsellmann wäre das kunterbunte Gerät wohl längst verkauft oder verschrottet. Aber Franz Gsellmann liebt diese Maschine. Sie ist sein Tag, seine Nacht, sein Ein und Alles. Eingeschaltet singt sie für ihn ein Lied, das in dieser Form sonst niemand hören kann. Und er spitzt die Ohren, wenn die vielen Einzelteile zu ihrem versponnenen Tanz ansetzen, den nur er so versteht, wie sein Großvater ihn einst entworfen hat.

Dieser Großvater schnürte eines Tages zum ersten und letzten Mal im Leben sein Ränzlein. Er, der den Hof davor noch nie verlassen hatte, machte sich auf den Weg nach Brüssel. Ein Bild des Atomiums hatte ihn auf die Reise geschickt, niemand kann sagen, warum. Sein Enkel erzählt die Geschichte so: Der Großvater habe in der riesigen Stadt keine Zeit vergeudet, sich direkt zum silbrigen Kugelmonster begeben, das ihm wohl wie ein Besucher aus einer künftigen Welt erschienen sein muss, und habe es wieder und wieder abgemalt. Zu Hause habe er sich dann in ein Zimmer eingeschlossen und es über Jahre kaum mehr verlassen. Höchstens zum Einsammeln kurioser Teile, wo immer er ihrer habhaft werden konnte. Sehen, was im Raum vor sich ging, durfte kaum jemand. 1981 schließlich lüftete Gsellmann, der Großvater, sein Geheimnis ansatzlos. Er öffnete untheatralisch die Tür, sagte in etwa: „Das ist meine Weltmaschine. Sie ist fertig. Macht damit, was ihr wollt.“ Kurz darauf starb er. Die Maschine erbte der Enkel.

 Skurrile Mechanik, brachiale Hände 

Man muss sich dem heutigen Maschinisten sorgfältig nähern, will man verstehen, was ihn antreibt. Franz Gsellmann ist ein feinfühliger Mensch, der die skurrile Mechanik seines Schatzes mit einer Noblesse streichelt, die man den brachialen Händen des Mannes, der sonst Motorsägen bedient und Eisen bearbeitet, nie zutrauen würde. Aber geht es um das Wohl der Maschine, ist er verstockt, bockig. Förderungen hat er der steirischen Landesregierung abgetrotzt, einem renommierten Autor ein Buch, eine Umsiedlung in ein Museum konsequent verweigert. Bekannte hat er, nicht immer in Einklang mit deren freiem Willen, als Helfer rekrutiert, als 2010 Feiern anstanden, weil der Großvater 100 geworden wäre. Der Enkel ist hart und zart zugleich, ein zielstrebiger Sturschädel mit der weichen Freundlichkeit eines Kindes.

Die Maschine? Die ist unbeschreiblich. Ein vergleichbares Ding gibt es nicht, sie erfüllt keinen Zweck, besitzt keine Funktion. Aber die eigenartige Fähigkeit, Menschen zu berühren, ein leichtes Band an ihre Herzen zu legen. Maschinist Gsellmann weiß es, er kann das ebenfalls. Er verschwendet daher bei den Vorführungen, zu denen tausende Besucher jedes Jahr an den kargen Hof strömen, nie große Worte. Weil er sicher sein kann, dass auch ohne sie niemand die Weltmaschine im selben Gemütszustand verlässt, in dem er gekommen ist.

Irgendwann wird Franz Gsellmanns Leben mit der Maschine, an jenem Ort, an dem die Welt aufhört, enden. Was dann mit dem Gerät passiert, ist ein Rätsel – wie es auch das seltsame steirische Gespann Maschine-Maschinist eines ist. +++