
Die ikonischen Automobile ducken sich seit fast genau hundert Jahren auf Straßen, springen aus Kurven und sorgen für Spektakel. Der Wert der Kultmarke ist auch in modernen Zeiten unverändert. Das wird wohl noch lange so bleiben.
Natürlich ist es zuerst das Gebrüll. Man drückt die Soundtaste, über die dieses Fahrzeug in seiner Spitzenversion tatsächlich verfügt, tritt aufs Gaspedal, und der F-Type drängt mit einem hysterischen Fauchen nach vorne, das klingt, als wäre es nicht von dieser Welt. Das ist der räudige Klang, den die modernen Toningenieure seit Jahren einigen Modellen der Kultmarke Jaguar mit in ihr Leben geben. Es ist die Musik von Jaguar. Das Coupé-Modell F-Type R, in Österreich stärkstes und sportlichstes Modell aus den Fabriken in Coventry sowie bei Birmingham und Liverpool, ist so etwas wie der Kapellmeister. In seiner Best-of-böse-Version »R« hat es 575 PS, ist 300 km/h schnell, beschleunigt von Null auf hundert in 3,7 Sekunden, und hat und kann alles, was die Marke in mittlerweile knapp hundert Jahren Automobilbau gelernt, antizipiert und kultiviert hat. Der F-Type R ist der pure, reine, direkte und schnörkelloseste Jaguar. Manche Eingeweihte behaupten sogar, der F-Type sei überhaupt das “sexiest car alive”. Auf jeden Fall ist er eines der lautesten und schnellsten.
Der große Name
Jaguar also. Das ist ein übermächtiger Name, eine große Marke, für die es im
Jahr 2008 einen Donnerschlag gab. Der indische Mischkonzern Tata übernahm das britische Traditionsunternehmen vom amerikanischen Autobauer Ford, der seinerseits
in den 1990er-Jahren die Mehrheit an Jaguar gekauft hatte. Da stellen sich einige Fragen, zum Beispiel: Tata? Ein Mischkonzern? Aus Indien? Übernimmt Jaguar? »Very shocking«, mögen sich die Briten damals gedacht haben und womöglich war selbst die Queen not amused. Die Jaguar-Fans draußen in der Welt jedenfalls erstarrten in atemlosem Entsetzen. Doch bald stellte sich heraus: Ratan Naval Tata, ein Adoptivsohn der Witwe des Firmengründers und CEO des neuen Eigentümers von Jaguar, machte keine Anstalten, Dinge zum Schlechteren zu verändern. Im Gegenteil. Er gab Jaguar und der Konzernschwester Landrover das nötige Geld und auch den Freiraum, um der fast schon traditionell an gewissen Qualitätsproblemen leidenden Marke eine Art Wiedergeburt zu ermöglichen.

Jaguar, dessen Image unter der Ford-Herrschaft gelitten hatte, baute plötzlich wieder betörende Autos wie damals in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts , als der ikonenhafte Mythos der Marke entstand und Jaguare die Autowelt in Verzücken versetzten. Zum Beispiel der ganz große Klassiker, der E-Type, der für das heutige Modell F-Type Pate stand: Mit seiner langen Schnauze, dem kurzen Hinterteil und der kompromisslosen Sportlichkeit fand er einen festen Platz in der Geschichte des guten Designs. Ein Exemplar steht heute sogar im New Yorker Museum of Modern Art.
Überhaupt durchziehen Jaguar-Modelle die Automobilgeschichte wie Leuchtfeuer, seit der Name im Jahr 1935 erstmals einem Fahrzeug der damaligen SS Car Company gegeben wurde. Dieser “SS Jaguar 100” gewann das erste Rennen für die Marke. Es folgten Le-Mans-Siege, Gewinne der Sportwagen-Weltmeisterschaft und schließlich zwischen 1999 und 2004 sogar einige Jahre in der Formel 1, die allerdings wenig glorios waren. Jaguar fuhr in der Königsklasse des Motorsports meist hinterher und auch Österreicher spielten dabei eine gewisse Rolle: Niki Lauda war zeitweise Chef des Rennstalls, der Vorarlberger Christian Klien fuhr als Pilot. Und ein Österreicher war es auch, der schließlich Jaguars Formel-1-Engagement beendete. Milliardär Dietrich Mateschitz kaufte das Team, benannte es in Red Bull um und feierte damit den Gewinn von bisher vier Weltmeister-Titeln. Auch wenn der Red Bull von heute ein ganz anderes Auto ist als der Formel-1-Jaguar von 2004, so fährt vielleicht doch ein klein wenig Raubkatze immer noch bei jedem Sieg der heutigen österreichischen Dosen-Renner mit.
Das Spezielle und Schöne
So, wie Mateschitz wohl ein Gespür für den verborgenen potenziellen Erfolg hatte, der in den Genen des Jaguar-Rennstalls ruhen musste und nur darauf wartete, wachgeküsst zu werden, so spüren zweifellos auch Besitzer und Konstrukteure von Jaguar-Automobilen etwas Besonderes. Jaguar-Menschen sind einfach spezielle Menschen. Nicht nur, weil sie im Leben erfolgreich sein müssen, um sich ein Modell der Marke überhaupt leisten zu können – immerhin kostet etwa der Jaguar F-Type R hierzulande von rund 153.000 Euro aufwärts. Sondern auch, weil sie zumeist ein Sensorium für Schönes haben, ein Faible für Feinsinniges, eine Hingabe für Mythenhaftes. Das war bei Firmengründer William Lyons so, und das war vor allem auch beim Jaguar-Designchef Ian Callum nicht anders, der optisch das neue Jahrtausend bei Jaguar einleitete und die jahrzehntelang gültige klassische Grundform durch eine völlig neue Linie bei allen Modellen ersetzte.
“A Jaguar is a sports car”, ein Jaguar ist ein Sportwagen, sagte Callum bei der Präsentation der Limousine »XF« im Jahr 2008, die als erstes Modell unter dem neuen Tata-Regime herauskam und in jeder Hinsicht eine Zeitenwende einläutete. Der XF kannte als Nachfolger des S-Type die Jaguar-Qualitätsprobleme vergangener Jahrzehnte nicht mehr, betörte seine Käufer mit einer gänzlich anderen Linienführung als alle früheren Jaguar-Modelle, und war zum ersten Mal in der Firmengeschichte auch kaufmännisch ein echtes Erfolgsmodell.

Neues Leben
Heute sind der nächste XF, der kleinere XE, der F-Type und vor allem die für Jaguar unüblichen SUV-Modelle F-Pace, E-Pace und I-Pace die Flaggenträger und modernen Ikonen im neuen Leben der großen Marke. Vor allem der I-Pace, das erste reine Elektrofahrzeug der Marke, soll Jaguar mit Rasanz in die Zukunft chauffieren. Soeben eröffnete ein Projektpartner in London ein Taxi-Service, das ausschließlich mit den Elektro-Modellen operiert. Das gesamte Vermächtnis des großen Namens Jaguar wird wohl in den kommenden Jahren zusehends ins

Elektrische hinüber geführt werden. Röhrende Motoren könnten dann irgendwann einmal der Vergangenheit angehören, das Fauchen durch Schnurren ersetzt werden. Aber die Marke, ihre katzenhafte Schönheit, und alles, was sie seit beinahe hundert Jahren so sehr mit Emotion aufgeladen hat, wird weiter bestehen. Jaguar wird ein Wert für die Zukunft bleiben, der seinen aktuellen Glanz mit der Vergangenheit speist, ihn mit zeitgemäßen, neuen Ideen aufpoliert und immer noch für Aufsehen sorgt. Trotz künftig leiser Motoren wird Jaguar wohl für mindestens noch einmal hundert Jahre richtig laut sein. Auch ohne Soundtaste. +++
Die Menschen von Jaguar
Sir William Lyons: Der Jaguar-Gründer investierte 1922 mit Partner William Walmsley 500 Pfund in das neue Unternehmen “Swallow Sidecars”. 1934 kaufte Lyons seinen Partner aus und nannte die Autos ab diesem Zeitpunkt Jaguar.
Norman Dewis: Der Cheftester war zu Beginn der Markengeschichte für das Gefühl verantwortlich, das Jaguare ihren Piloten vermitteln sollten. Er gab den Jaguar-Autos ihre fahrerische Seele, die auch in der Gegenwart noch lebt.
Malcolm Sayer: Designer einiger der wesentlichsten Jaguar-Modelle aller Zeiten. Zeichnete etwa den legendären D-Type, den E-Type-Klassiker und auch das Le-Mans-Siegermodell C-Type.
Ratan Naval Tata: Der Chef des heutigen Jaguar-Mutterkonzerns Tata ermöglichte der britischen Traditionsmarke das Überleben und ein Aufblühen im neuen Jahrtausend.
Ian Callum: Der Absolvent des Royal College of Art in London gab den Autos als Designchef nach der Jahrtausendwende ihre neue optische Linie. Verabschiedete sich 2020 von Jaguar.
Thierry Bolloré: Der Franzose übernahm Ende 2020 den Chefsessel bei Jaguar und Landrover. In seinen Händen liegt jetzt das Markenschicksal von Jaguar.