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Berhard Heinzlmaier: Wie die Jungen die Krisen meistern

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Junge Menschen sollen nach all den Krisen en masse depressiv, verängstigt und verzweifelt sein? Der Wiener Jugendkulturforscher Bernhard Heinzlmaier sieht das im Gespräch mit such*stuff ganz anders.

such*stuff: Pandemie, Inflation, Krieg in Europa, Klima – schlechte Zukunftsaussichten. Das wirft viele Erwachsene aus der Bahn. Wie geht es den Jungen?

Heinzlmaier: Es ist nicht nachzuvollziehen, dass die Situation so dramatisch sein soll, wie das von allen Seiten dargestellt wird. Da wird immer gesagt, die Jungen sind suizidär, adipös, depressiv, die Zukunft wurde ihnen genommen, ihre Ausbildung entwertet, die sind alle verzweifelt. Davon kann in dieser drastischen Form keine Rede sein. Das Ergebnis der letzten Studie, die wir gemacht haben, sieht so aus: Die Jungen sehen, dass sie in schwierigen Zeiten leben, von Krisen umstellt sind, sie machen sich Sorgen.

Worüber genau denn?

Über den Krieg, über die Teuerung. Dann kommt lange nichts, dann kommt die Klimaproblematik. Aber die ist zuletrzt ziemlich in den Hintergrund getreten.

Also in Wahrheit eh alles halbwegs in Ordnung bei der Jugend?

Ich würde eher sagen, im Prinzip ist es nicht viel anders als es früher auch war. Vor allem sagen die Jungen: Wir sind stark genug, um all das zu bewältigen, wir werden das schaffen. Es gibt eher Durchhalteparolen als Demotivation. Anders gesagt: Die Jungen sehen die Probleme, aber sie versuchen auch, sie anzugehen. Die Jungen sind im Umgang mit Krisensituationen viel mehr pragmatisch als ideologisch. Sie versuchen weitgehend, nüchtern und sachlich zu agieren, sich nicht von den diversen Hysterien mitreißen zu lassen.

Es gibt aber viele Studien, die das anders sehen, da ist von einer “Generation Dauerkrise” die Rede, von einer dystopischen Welt. Stimmt das gar nicht?

Eine Reihe von Studien sind de facto wertlos, weil ihnen schiefe Stichproben zugrunde liegen. Andere Studien sind von Interessengemeinschaften geprägt. Wenn zum Beispiel hinter einer Studie der Psychologenverband steht und das Ergebnis lautet, dass alle Jugendlichen depressiv und daher mehr Psychologen nötig sind, da könnte man schon ein wenig Interessenspolitik dahinter vermuten, oder?

Dieses dystopische Bild, das von Medien und Studien derzeit befeuert wird – so sehen die Jungen die Welt gar nicht?

Sie sehen sie sicher nicht so problematisch, wie die Erwachsenen das tun. Bei den Jungen spielt die Dimension Hoffnung naturgemäß eine viel größere Rolle, die stehen ja noch am Start ihres Lebens. Die wollen nicht, dass man sie plötzlich in einen übergroßen Pessimismus hineinkippt.

Dann fragen wir konkret: Wie wirkt die Krise auf die Jungen?

Sie wirkt jedenfalls nicht auf alle sozialen Schichten in gleicher Weise. Das obere Gesellschaftsdrittel kommt relativ gut durch alles durch. Je weiter man nach unten schaut, desto eher wird es problematisch. Man muss da sehr genau hinsehen und beachten, dass man es mit völlig unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen zu tun hat.

Dem unteren Drittel zu helfen und dem oberen Drittel gar nicht, wäre sinnvoller. Ein Klimafünfhunderter für jeden? So ein Blödsinn.

Dieselbe Schere, die auch bei den Erwachsenen aufgeht? Je schwächer Jungendliche und ihre Elternhäuser sozial und ökonomisch dastehen, desto destruktiver wirken Krisen auf Sie?

Die sozial Schwachen sind die, die besonders leiden, die Angst vor kalten Wohnungen haben, dass sie sich Schulmaterialien nicht mehr leisten können. Deshalb ist es ja auch so bedauerlich, dass die Politik bei ihren Hilfestellungen immer noch mit der Gießkanne über alle drüber geht. Dem unteren Drittel zu helfen und dem oberen Drittel gar nicht, wäre viel sinnvoller. Ein Klimafünfhunderter für jeden? So ein Blödsinn.

“Wir sehen jedenfalls nicht, dass unter den Jungen eine Massenpanik ausbrechen würde”, sagt Heinzlmaier.

Die Gesamtheit der Jungen kommt aber ganz gut durch die Krisen?

Wir sehen jedenfalls nicht, dass unter den Jungen jetzt eine Massenpanik ausbricht. Klar gibt es Gruppen, die stärker betroffen sind und auch entsprechend reagieren. Aber es ist sicher nicht so, dass alle depressiv und fertig sind.

Ist es Blödsinn zu sagen, dass Jung sein noch nie so schwer war wie heute, wie das manche Studien implizieren?

Das muss man auf jeden Fall relativieren. Es gibt genug Jobs für die Jungen, die womöglich in der Pandemie verlorene Ausbildungszeit lässt sich problemlos aufholen. Am Arbeitsmarkt geht es den Jungen von heute wahrscheinlich deutlich besser als den Jungen von vor 20 Jahren.

Aber wollen die Jungen überhaupt noch arbeiten? Aus Untersuchungen geht hervor, dass ihnen ein erfüllte Privatleben, Familie und persönliche Befriedigungen wichtiger sind als ein Job.

Auch hier ist zu differenzieren. Work-Life-Balance zum Beispiel ist eher etwas für die Privilegierten, also die sozial ohnehin Bessergestellten. Mehr Freizeit gegen weniger Gehalt einzutauschen wird umso mehr zum Thema, je weiter oben man hinschaut. Je weiter man hingegen nach unten schaut, desto mehr geht die Tendenz in Richtung materieller Zugang. Die Ärmeren wollen möglichst viel arbeiten, um möglichst viel Geld zu verdienen, um sich möglichst viel leisten zu können.

Die, die von Haus aus weniger Geld haben, sind beinharte Materialisten. Und das ist unter den Jungen die Mehrheit.

Klingt wenig prosaisch.

Man darf nicht vergessen, das sind ja alles Kinder einer Konsumgesellschaft. Je weiter unten sozial angesiedelt junge Mesnchen sind, desto mehr funktioniert ihr Zugang zu Sinn, Glück, Freude und Zufriedenheit über den Konsum. In einer Konsumgesellschaft kann man an der Gesellschaft nur teilnehmen, wenn man Geld hat, umso wichtiger ist das. Nur bei denen, die ohnehin schon Geld haben, treten materialle Interessen in den Hintergrund. Die, die von Haus aus weniger Geld haben, sind beinharte Materialisten. Und das ist unter den Jungen die Mehrheit.

Ist das nicht rücksichtslos?

Warum? Das ist eine Art von Egoismus. Die schauen einfach, dass sie möglichst gut auseteigen. Was den Jungen heute fehlt ist, der ethische Zugang von früher zum Thema Arbeit. Dass man etwas leisten muss, um Erfolg zu haben. Wir leben, wenn man so will, heute nicht mehr in einer Leistungsgesellschaft wie früher, sondern in einer erfolsgorientierten Gesellschaft. Erfolg kann man aber auch haben, ohne etwas leisten zu müssen. Wenn Junge so eine Möglichkeit entdecken, dann nützen sie die eben. Mit möglichst wenig Mitteleinsatz einen möglichst hohen Ertrag zu erzielen, das ist im Übrigen eine gängige kapitalistische Zielsetzung.

Ist das gut, wenn Jugendliche nach diesem Prinzip leben?

Man kann den Jugendlichen wirklich nicht vorwerfen, dass sie so agieren. Wir leben in einer Konkurrenz- und Wettbewerbsgesellschaft, die sich weitgehend jenseits der Moral bewegt, warum soll man da von den Jungen moralisches Handeln im Interesse der Gemeinschaft verlangen und erwarten?

Wie soll man den Arbeitswillen der Jungen von heute definieren?

Sie sagen, ich möchte für mich möglichst viel herausholen, und das mit möglichst geringem Aufwand. Anders gesagt: Viel Geld für wenig Arbeit. Das ist aber ohnehin das Ideal dieser Gesellschaft, in der wir leben. Warum sollen´s die Jungen anders sehen?

Heinzlmaier: “Die Jungen von heute wollen sich in kleinen Gruppen aufgehoben und geborgen fühlen”.

Gehen wir vom Arbeitsleben weg, was sind denn, vom Materiellen einmal abgesehen, die Ideale der Jungen von heute?

Sie wollen aufgehoben sein, sich in kleineren Gruppen geborgen fühlen. Das Individuum, also sie selbst, ist für die Jungen der Mittelpunkt, um den sich alles dreht. Dieses Individuum hat aber natürlich gesellschaftliche Bedürfnisse, und die will es sich aus der Geborgenheit kleiner Gruppen holen, nicht mehr aus der gesamten Gesellschaft. Die Familie, der engere Freundeskreis, das spielt eine Rolle. Die Jungen denken sich: Wichtig bin ich, dazu meine Familie und meine Freunde.

Was heißt das für die Gesellschaft, die Jungen werden ja auch einmal älter?

Wir werden eine Partikularisierung der Gesellschaft sehen, eine Vielzahl kleiner Gruppen, die alle für sich selbst agieren und sagen, zuerst kommen wir, dann kommen die anderen. Wenn Sie so wollen: Wir könnten eine Atomisierung der Gesellschaft erleben – mit Widersprüchen. Denn diese künftigen Individuen haben andererseits auch sehr starke Regionalbezüge und auch einen Bezug zum Land, in dem sie leben. Die Jungen von heute sind ziemlich patriotisch.

Wenn in Wien die Forderung nach Zusammenhalt plakatiert wird, verursacht das bei jungen Leuten eher das Gegenteil, nämlich Distanzierungsprozesse.

Ein gegenläufiger Trend zu dem, was politische Entscheidungsträger mit der Gesellschaft vorhaben, da geht alles in Richung Gemeinsamkeit großer gesellschaftlicher Systeme, oder?

Wir wissen seit gut 30 Jahren, dass die Gemeinschaftsstrukturen sich ändern und posttraditionelle Gemeinschaftsformen entstehen, in denen Einzelne sich von Gemeinschaften abwenden, die ihnen primär Verpflichtungen auferlegen. Wenn in Wien zum Beispiel die Forderung nach Zusammenhalt plakatiert wird, verursacht das bei jungen Leuten eher das Gegenteil, nämlich Distanzierungsprozesse. Die sehen das Gemeinwesen eher pragmatisch: Was ich davon brauchen kann, nehme ich. Mit dem restlichen Zeug will ich in Frieden gelassen werden.

Reden wir noch einmal kurz über die Pandemie, die Jungen, so heißt es, fühlen sich allein gelassen. Stimmt das?

Jedenfalls haben die Jungen ein ungemein großes Sicherheitsbedürfnis. Das wurde in der Pandemie vom Staat, den Behörden, den Entscheidungsträgern, nicht unbedingt bedient. Aber wie schon gesagt: Dass sie jetzt Ausbildungszeit unwiderbringlich verloren hätten, dass ihnen Lebenszeit gestohlen wurde, dass sie eine verlorene Generation sein sollen, so sehen die das alles nicht. Deswegen geht die Welt der Jungen nicht unter.

Letzte Frage: Sie sind 62 – möchten Sie, so wie sich unsere Gesellschaft heute darstellt, noch einmal jung sein?

Jeder möchte natürlich gerne wieder jung sein. Aber unter den Bedingungen, die heute herrschen, eher nicht mehr. Auf eine Uni würde nicht mehr gerne gehen. Immer mehr Druck, immer mehr Selektion, das würde mir keinen Spaß machen. Da war mir meine Studienzeit, wie sie früher war, lieber. +++

 

 Bernhard Heinzlmaier 

Prof. Mag. Bernhard Heinzlmaier ist seit Jahrzehnten als Sozialwissenschaftler in der Jugendforschung tätig. Er ist Mitbegründer des Wiener Instituts für Jugendkulturforschung und seit 2003 Vorsitzender. Dazu leitet er das Marktforschungsunternehmen T-Factory.