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Fortsetzung des Interviews mit Wifo-Chef Gabriel Felbermayr:
such*stuff: Sie haben kürzlich gesagt, die Österreicher müssen von ihrer Vollkaskomentalität weg. Was soll denn das genau sein?
Gabriel Felbermayr: Das habe ich in einem Gespräch mit der Süddeutschen gesagt, dabei ging es in erster Linie um Unternehmenshilfen.
Sprechen wir also von einer Vollkaskomentalität der Wirtschaft, die ja in Österreich sehr geübt ist, in Schwierigkeiten nach staatlichen Hilfen zu rufen? Jüngstes Beispiel ist die Wien Energie. Aber auch die Austrian Airlines, diverse Banken und andere tun das schnell und gern. Kaum wird es schwierig, soll der Staat helfen.
Ja, das ist nicht nur ein Thema bei Privaten, sondern in Österreich wirklich ein allgemeines Thema. Vollkasko, das heißt ja, im Schadensfall ohne Selbstbeteiligung Versicherungsleistung zu bekommen. Selbstverständlich ist der Staat angehalten, Unternehmen, die durch kurzfristige Störungen unverschuldet in die Pleite rutschen, zu unterstützen. Kurzarbeit, Verlustrückträge und so weiter. Ich verweigere diese Versicherungsfunktion nicht grundsätzlich, doch es muss immer und überall Selbstbehalte geben, damit die Anreize zur Vorbeugung maximal sind. Sowohl bei den Bürgern wie auch bei den Unternehmen. Niemand darf darauf vertrauen, dass er schon zu 100 Prozent rausgehauen wird, wenn etwas schiefgeht. Man muss das Gefühl haben, einen spürbaren Anteil von Krisenfolgen selbst tragen zu müssen. Verflüchtigt sich dieses Gefühl, sinken die Anreize zum Vorsorgen und für die Krisenprävention. Das ist eine Entwicklung, die mir langfristig Sorgen macht. Denn irgendwann sind auch die Taschen des Staates dann doch nicht mehr tief genug und er kann nicht überall aushelfen. Ein resilient aufgestelltes Wirtschaftssystem muss Krisen aus sich selbst heraus vertragen können.
Noch einmal Schulnotensystem: Wie würden Sie denn die vielen Staatshilfen der vergangenen Jahre unter dem Gesichtspunkt der Resilienz benoten?
Eigentlich mag ich diese Dauerbenotung nicht. So einfach ist die Bewertung einer Sache sehr oft nicht. In der akuten Krise muss der Staat handeln, und er muss das schnell tun. Da entstehen dann eben hohe Mitnahmeeffekte. Unsere jetzige Situation hat schon auch mit den diversen Vorgängerregierungen zu tun. Völlig von heute auf morgen ist die Pandemie ja nicht über uns hereingebrochen, da gab es schon Warnungen. Vor einem Krieg in Europa, der aller Voraussicht nach Russland involvieren und Gas zu einer Waffe machen könnte, warnen Militärstrategen und Politiker in Osteuropa schon seit einem Jahrzehnt. Darauf hätten vergangene Regierungen durchaus vorbereiten können oder müssen. Also immer nur die aktuelle Regierung für ihr ad-hoc-Handeln zu benoten, ist möglicherweise ein wenig unfair. Da muss man auch die Regierungen davor fragen: Wie konnte passieren, dass man sich nicht vorbereitet hat. Aber natürlich stimmen andererseits auch viele der Vorwürfe. Wir brauchen etwa eine Evaluierung der Cofag-Hilfen, ohne Tabu und mit aller Radikalität. Wir brauchen auch dringend bessere Daten. Dass die Strompreisbremse und vieles andere ein wenig halbseiden aufgestellt ist, hat mit der schlechten Datenlage zu tun.
Soeben hat die EZB die Leitzinsen deutlich erhöht. Der Staat hat in den vergangenen Jahren auf Pump Milliarden an Hilfen unters Volk gebracht. Wenn nun die Zinsen steigen, können wir uns die Rückzahlung dieses Schuldenberges überhaupt leisten?
Was an Hilfen passiert und schon passiert ist, kann in der Tat nicht aus Mehreinnahmen allein finanziert werden. Da wird es eine höhere Netto-Neuverschuldung brauchen, das kostet uns selbstverständlich Spielräume in der Zukunft. Was wir derzeit tun, ist: Wir sagen, wir haben ein Problem, zum Beispiel die Teuerung, und wir schieben dessen Lösung auch auf zukünftige Schultern. Allerdings ist es legitim, wenn künftige Steuerzahler Teile der Kosten der Lösung heutiger Probleme tragen, weil sie ja in der Zukunft auch Nutznießer sind, dass wir Probleme der Vergangenheit gelöst, zum Beispiel Industriezweige erhalten haben.
Heizen wir mit den vielen Hilfsprogrammen die Inflation nicht noch zusätzlich an?
Klar ist, diese großen Hilfsprogramme sind alles andere als inflationsdämpfend, da entstehen auch hohe Nebenkosten. Daher muss man die Maßnahmen wieder zurückfahren, so rasch es eben geht, damit die fiskalischen Kosten nicht zu hoch werden. Die Zeiten der billigen Verschuldung sind außerdem vorbei, natürlich brauchen die Märkte bei höheren Inflationsraten eine höhere Nominalverzinsung.
Was macht diese höhere Verzinsung mit unseren Staatsschulden?
Die Bundesfinanzagentur hat wirklich sehr gute Arbeit geleistet. Der österreichische Schuldenberg ist im Durchschnitt sehr niedrig verzinst. Natürlich, die Neuverschuldung wird teurer. Aber wir haben in unserem Schuldenportfolio hundertjährige Anleihen, wir haben vierundzwanzigjährige Anleihen, die mit null Prozent oder sehr niedrig verzinst sind, da lassen steigende Zinsen den Schuldendienstdes Bundes nur sehr langsam ansteigen. Damit es wirklich stark teurer wird, bräuchte es eine lange Hochzinsphase. Ob so eine Phase kommt, ist fraglich.
Würgen steigende Zinsen die Konjunktur nicht ab?
Ja, ein Stück weit durchaus, aber da muss man in aller Brutalität sagen: Genau das ist der Sinn der Übung. Steigen die Zinsen und geben die Banken weniger Kredite an die Häuslbauer, dann werden eben weniger Häuser gebaut. Das hat einen Effekt auf die Immobilienpreise, die Preise für die Baumaterialien und viele andere Bereiche, diese Preise gehen zurück – genau der Effekt, den man haben möchte. Die Nachfrage zu dämpfen, das ist Sinn und Zweck einer Zinserhöhung. +++
Univ.Prof. MMag. Gabriel Felbermayr PhD ist seit Oktober 2021 Direktor des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung (WIFO) in Wien und Universitätsprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU).