Starten wir doch einfach mit Shakespeare. Im Sonett Nummer 18 hat er zwar einen Menschen beschrieben – doch warum nicht annehmen, er könnte genauso gut die Sprache an sich gemeint haben:
Sommertagen soll ich dich vergleichen?
Lieblicher bist du, weicher ebenso.
Sprache also. Es geht bergab mit ihr, schon seit längerem. Da hatten wir zum Beispiel früher Alois Mock. Er erwies sich, selbst als er noch bei Gesundheit war, desöfteren als Wortvernudelungsmaschine, seltsam genug für einen Spitzenpolitiker. Oder dann gibt es den TV-Analysten-Darling der Nation, Herbert Prohaska, der es mit seinen charmanten Bemühungen zur Dativisierung des Akkusativs – und umgekehrt – über die Jahre zur Perfektion gebracht hat. Was beide Herren trotz ihrer so unterschiedlichen Erfahrungswelten eint: Der Sprache nachhaltigen Schaden zufügen konnten sie nicht. Die edelste unserer Kulturtechniken war bisher stärker als sämtliche Versuche, gewollte wie ungewollte, sie zu zerreden oder sonstwie auseinander zu nehmen.
Bisher. Denn jetzt gibt es das Internet. Die Digitalisierung. Es gibt all die neuen Wege, sich auszutauschen und dabei ohne das gesprochene oder gar geschriebene Wort auskommen. Mit rabiaten Folgen, wenn wir nicht aufpassen. Vor allem die Jungen, natürlich, lieben das Kommunizieren ohne herkömmliche Grammatik oder Rechtschreibung, das von den Social Media und der internationalisierten verbalen Durchmischung befeuert wird, in einem Tempo wie nie zuvor. “Ibims” oder “gestu meki“, nur zum Beispiel, sind an den Schulen längst ebenso Standard wie bei den meisten von uns, auch den Älteren, das Abfeuern von SMS-Emojis satt der Formulierung ganzer Sätze. Bitte keine falschen Schlüsse: Durchmischung ist gut, kurz und knackig ist gut. Fremde Sprachen, die einander befruchten und damit die Horizonte ihrer Sprecher weiten, sind großartig. Auf den Punkt gebracht, also kürzer formuliert, ist fasst immer besser als ausschweifend erklärt. Und natürlich war Sprache schon immer Veränderung unterworfen, wurde durch Neues stets bereichert.
Doch das ist in der Betrachtung zu einfach. Mit bloßer Veränderung haben wir es nicht mehr zu tun, jetzt wird Disruption zur Destruktion. Wir haben uns inzwischen mit dem gänzlich neuen Funktionieren von Massenkommunikation auseinanderzusetzen, die erstmals ohne Sprache auszukommen beginnt. Die neuen Möglichkeiten, komplexe Sprache einfach zu ersetzen, selbst durch so reduzierte Formen wie das Anklicken von Emojis, sind ein sozialer Gamechanger. Die steinalte Kulturtechnik könnte bedeutungslos werden, weil es auch ohne sie geht.
Das mag die Erklärung für eine gewisse zu registrierende Erosion der Fähigkeit liefern, sich nuanciert auszudrücken. Wir Journalisten bekommen das als erste mit. Zwar erhalten wir nach wie vor Wellenberge geschriebener Presseaussendungen. Doch die Sprache, die sie verwenden, wird immer unzulänglicher, fehlerhafter, unverwendbarer. Und zwar egal, ob die Absender über Universitätsabschlüsse oder Hauptschulbildung verfügen. Deutschlehrer an Gymnasien wissen von absenter Sprachkompetenz bei Maturanten zu erzählen. Sogar in der Lehrerschaft selbst scheinen Grammatik und Rechtschreibung gar nicht mehr so selten bloß als grobe Empfehlung betrachtet zu werden, Beistrichsetzung als Möglichkeit zum Ausleben von Kreativität. Und nehmen wir Medienleute uns selbst an der Nase: Aufmerksamen Lesern wird nicht entgangen sein, dass auch unter uns Profischreibern die Reservoirs fein ziselierter verbaler Fertigkeiten tendenziell auszutrocknen drohen. Lektorate, die Schutzimpfung gegen degenerierenden Sprachgebrauch, werden von Verlagsmanagern zusehends personell dezimiert oder überhaupt abgeschafft.
Wir befinden uns keineswegs in einem Prozess der Adaption von Sprache an neue Zeiten. Sondern womöglich an ihrem Lebensende, jedenfalls am Beginn ihres Abstiegs. Mit Folgen. In einer Gesellschaft, die verbale Sprache immer weniger benötigt, um kommunizieren zu können, diffundiert natürlich auch die Notwendigkeit ins Nirwana, diese Kulturtechnik überhaupt erst zu erlernen. Da könnte einmal eine Schere aufgehen lassen, die niemandem gut tut: Gebildete Wohlhabende auf der einen Seite, die sich korrekte Sprache zur Unterhaltung leisten – so, wie man heute ein herausforderndes Buch liest oder ins Theater geht. Und eine breite Masse auf der anderen Seite, die auf der Basis eines drastisch reduzierten verbalen Portfolios kommuniziert, das hauptsächlich mit Piktogrammen, Klickfeldern oder Kurzfloskeln auskommt. Was geht dabei verloren? Was macht das auf lange Sicht mit uns? Wie verändert das unser Miteinander
Möglicherweise müssen wir uns auf die fortschreitende Absenz des gesprochenen oder geschriebenen Wortes im Alltag einstellen. Adieu, Sprache. Der Verabschiedungsprozess hat begonnen. Es war schön mit dir, aber langsam geht es zu Ende. Bemühen wir noch einmal Shakespeare und erlauben uns eine zweite Anleihe bei einem Sonett, diesmal Nummer 73 – das Thema wäre da womöglich so abgehandelt worden:
So siehst du es, und es stärkt die Liebe zu dem,
was nun geht, statt dass es bliebe.